Zitat:Das Gegenteil ist der Fall. Startet man sogleich einen "Großangriff" und hat dabei aus welchen Gründen auch immer "die falsche Stelle" erwischt, sind die Verluste viel höher. Noch darüber hinaus kann man so gegenüber der feindlichen Aufklärung etwaig verschleiern wo man tatsächlich kommt - Stichwort: Ablenkungsangriffe - Täuschen etc.
Das sehe ich auch so. Möchte man das Risiko minimieren, horronde Verluste zu erleiden, geht es nicht anders.
Nochmal zurück zu der Debatte darüber, ob "Halten um (fast) jeden Preis" oder "Zuruckweichen um den Russen größtmöglichen Schaden bei geringe(re)n Verlusten eigener Kräfte zuzufügen" sinnvoller war bzw. gewesen wäre: Diese verfolge ich seitdem Sie hier das erste Mal aufkam.
Ich merke, dass es viele gibt, die von der zweiten Variante überzeugt sind.
Ich selber kann mich nicht dazu durchringen, mich eindeutig festzulegen. Ich empfinde aber etwaige Nachteile des Zuruckweichens in der Diskussion unterrepräsentiert.
Ich verstehe durchaus sämtliche Vorteile, die sich für mich in dem Sprichwort "überlebe, um an einem anderen Tag (und anderem Ort) weiterzukämpfen" bündeln lassen. Auch das Ziel des "Aufreibens" der feindlichen Kräfte ist durchaus verständlich.
Aber für mich ist die Gefahr, die eine solche Taktik mit sich bringt, ebenfalls nicht zu unterschätzen.
Zum einen ist es grundsätzlich insbesondere im aktuellen Kriegsstadium klar, dass es äußerst schwierig sein dürfte, einmal verlorenes Gebiet wieder zurückzugewinnen. Die Russen verminen und verbarrikadieren die neuen Linien in Rekordgeschwindigkeit.
Zum anderen darf man aber auch nicht unterschätzen, wie schmal der Grat zwischen "geordnetem ausweichen" und "chaotischer Flucht" im Endeffekt oftmals ist. Auch die psychologischen Auswirkungen auf die Moral und den Kampfgeist des Angreifers / des Verteidigers ist nicht zu unterschätzen.
Kommt solch eine "Rückwärtsbewegung" erstmal ins Rollen und die Russen setzen schnell nach während die Ausgangsstellungen der Ukrainer noch nicht oder nur unzureichend ausgebaut / besetzt / kampfbereit sind, kann es passieren, dass man direkt weiter "nach hinten" ausweichen muss und somit viel mehr Gebiet aufgibt, als ursprünglich angedacht war. Um dies zu vermeiden benötigt es mustergültige Planung und Truppenführung. Ob die Ukraine derzeit dazu in der Lage wäre, darf durchaus bezweifelt werden. Da ist es wesentlich "einfacher" und eventuell auch sinnvoller, gut ausgebaute Stellungen "einfach" zu halten.
Denn sollte sich die "Rückwärtsbewegung" zu einer regelrechten Flucht entwickeln, wäre dies äußerst gefährlich. Nicht nur wegen der Gebiete / Städte / Einwohner die verloren gehen, sondern auch, weil in solchen Situationen auch immer eine Menge Material auf der Strecke bleibt. Ganz zu schweigen von den Verlusten, sollte es den Russen gelingen in einl solches Manöver mal ordentlich "reinzuhacken".
Zum anderen ließe sich ein solches Ausweichen für Russland propangadistisch hervorragend als "(Teil-) Sieg" verkaufen, so wie es die Ukrainer nach dem Rückzug der Russen aus der Region östlich von Cherson ebenfalls getan haben. Im großen und ganzen war dieser Rückzug taktisch nicht unklug, und insgesamt auch (gerade noch) rechtzeitig und einigermaßen koordiniert.
Für jeden Beobachter war aber klar, dieser Schachzug ist ein großer Gewinn für die Ukraine. Die Moral und der Kampfgeist der ukr. Truppe hat hierdurch viel Aufwind erfahren.
Münzt man dies auf ein eventuelles Ausweichen der Ukraine in den "Haupt-Verteidigungsbastionen" um, würden die russischen Soldaten viel Aufwind bekommen. Während der Kampfgeist in vielen Teilen der russ. Armee nach wie vor mau ist, kann sich das durch eine etwas größere Frontverschiebung durchaus ändern, da dies als "Wendepunkt" wahrgenommen werden könnte. Und dies dürfte durchaus ebenfalls Gefahren bergen, die meines Erachtens nach unterschätzt werden.
Wie schon gesagt, ich selbst finde es unheimlich schwierig, sich hier eindeutig zu positionieren. Aktuell hat man den Russen hohe Verluste beigefügt, während man selbst ebenfalls hohe Verluste erlitten hat aber dafür keine weiteren zerstörten Städte und nur wenig verlorenes Territorium in Kauf nehmen musste. Gleichwohl hat man der eigenen Offensive die Schlagkraft genommen. Ob diese jedoch mit Hilfe der beispielsweise zur Verteidigung Bachmuts eingesetzten Kräfte wesentlich anders gelaufen wäre, darf durchaus bezweifelt werden. Dazu hätte es wohl einen komplett anderen Ansatz gebraucht (und nicht diese unnötige Fokussierung in Richtung Tokmak).
Was passiert wäre, hätte Saluschnyj (und die Befürworter "seiner" Taktik) die eigenen Pläne durchsetzen können, werden wir wohl nie erfahren.
Für mich ist die Sache aber nicht so eindeutig, wie sie hier teilweise dargestellt wird.
Dennoch:
(09.02.2024, 09:49)Schneemann schrieb: [ -> ]Allerdings halte auch ich die Absetzung von Saluschnyj zum jetzigen Zeitpunkt und vor dem Hintergrund, dass er innerhalb des Militärs und auch teils in der Bevölkerung durchaus beliebt ist, für einen politisch unklugen und bezogen auf das Militär für psychologisch problematischen Schritt.
Dies kann ich nur unterschreiben. Und es ist mir wirklich ein Rätsel, weshalb man solch ein Risiko eingeht.
Dass die mediale Darstellung der ukr. Führung des "freundschaftlichen Auseinandergehens" bzw. die Aussage "er bleibt im Team" kaum jemanden überzeugt, dürfte irgendwo klar sein. Das er da mitmacht ist wohl nur der Charakterstärke Saluschnyjs bzw. dem übergeordneten Willen zuzuschreiben , durch welchen er die psychologischen Auswirkungen begrenzen und eine Verminderung des Kampfgeistes vermeiden möchte.