01.01.2024, 19:09
@alphall31
Das würde manches nun etwas den Rahmen des Stranges hier sprengen, deswegen versuche ich es einzugrenzen.
Aber Moskau dankte es ihm schlecht. Denn Janukowytsch wollte zweigleisig fahren (einerseits sicher zum Wohle der Ukraine, aber vermutlich auch um andererseits noch etwas mehr Geld abzweigen zu können), d. h. einmal angelehnt an Russland und einmal angelehnt an die EU (Assoziierungsabkommen mit der EU). Und das wiederum wollte Hr. Putin aus machtpolitischen Erwägungen keinesfalls hinnehmen - also setzte er seinen Kompagnon Janukowytsch massiv unter Druck, es war eine offene Erpressung seinerzeit, als sie sich 2013 bei Moskau auf dem Flughafen Domodedowo trafen. Putins Ansage war klar: Schließt du Verträge mit der EU ab, sitzt ihr im Dunkeln und es wird kalt.
Janukowytsch, derart unter Druck gesetzt, zuckte zurück und gab der EU einen Korb. Im Ergebnis flog ihm daheim der Laden um die Ohren. In Moskau rechnete man fest damit, dass Janukowytsch den Laden im Griff hat, notfalls im Sinne einer weißrussischen Vorgehensweise. Aber dazu war Janukowytsch entweder nicht willens oder nicht fähig - zumal nicht alle in seiner Regierung einen blutigen crack down auf die Demonstranten hingenommen hätten. Als wochenlang die Proteste tobten und als die eigenen Reihen immer mehr wackelten (er wurde intern auch angehalten, das Drama zu beenden), ging er auf das Angebot einer Verhandlungslösung ein (siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Vereinbaru...er_Ukraine).
Am nächsten Tag flüchtete er aber überraschend nach Russland. In Moskau war man ob dieser Flucht sehr unglücklich und warf Janukowytsch hinter den Kulissen Schwäche und Feigheit vor - offiziell sprach man natürlich von einem Staatsstreich. Dass es aber Putins Politik selbst war, die Janukowytsch derart in die Bredouille brachte, wird natürlich nicht erwähnt. Darüber hinaus versuchte man in Moskau, Janukowytsch wieder einzufangen - was ihn dann, nachdem er abgesetzt wurde, vermutlich dazu "motivierte" eine Ansprache aus dem goldenen Exil-Käfig (und mutmaßlich mit FSB-Schalldämpfer im Rücken) zu halten, wonach er ja immer noch Präsident sei. Allerdings war er da bereits als Handlanger des Kreml desavouiert.
In gewisser Weise war es also ein Umsturz, aber doch wiederum nur ein halber, da es einer war, der von allen Protagonisten zwischen Moskau, Brüssel und Washington ziemlich schamlos herbeigeführt oder riskiert oder beeinflusst wurde. Ich will Janukowytsch sicher nicht in Schutz nehmen, er war ein skrupelloser, mafiöser Patron, man denke auch an die ominöse Vergiftung von Juschtschenko einige Jahre zuvor, aber bei diesem Machtspielchen um Kiew war er vermutlich nur eine Bauernfigur.
Zumindest ist es an Schamlosigkeit kaum zu überbieten, wenn man nun im Kreml versucht, diese damals durch Moskauer Handlungen mitverschuldete Misere in Kiew als Begründung für einen Angriffskrieg acht Jahre später und mit hunderttausenden Opfern zu (v)erklären.
Ich versuche es nochmals zu erklären: Gerade in Polen, im Baltikum und bei den Ungarn und Tschechen hatte man durchaus große Angst, dass es nach 1990/91 einen Deal zwischen Ost und West geben könnte, d. h. dass es keine NATO-Osterweiterung gibt. Und man hätte dies erneut so verstanden, als wie wenn die Westmächte die Ostmitteleuropäer wieder in Stich ließen. Historisch bezieht sich dies in Polen v. a. auf 1939, später dann auf den Warschauer Aufstand 1944 und noch auf die Aufteilung Nachkriegseuropas nach der Potsdamer Konferenz von 1945. Die Balten beziehen es auf den Hitler-Stalin-Pakt, der sie den Sowjets auslieferte, die Tschechen beziehen es v. a. auf den Prager Frühling, die Ungarn auf den Aufstand 1956, als seitens des Westens in beiden Fällen es zwar Proteste und Solidaritätsbekundungen gab, aber ansonsten keine Reaktionen erfolgten.
Ein Ausschluss dieser Länder aus den westlichen Institutionen wäre in keiner Weise vertretbar gewesen und wäre von diesen Ländern als erneute Bankrotterklärung, quasi als ein moralisches Versagen der Westmächte verstanden worden.
Schneemann
Das würde manches nun etwas den Rahmen des Stranges hier sprengen, deswegen versuche ich es einzugrenzen.
Zitat:Mit der Aufnahme der baltischen Staaten hatte Russland auch kein Problem...Das ist schlicht falsch. Schon als die baltischen Staaten auch nur im Gespräch waren, gab es heftige Vorwürfe aus Moskau.
Zitat:... erst mit dem Umsturz in der Ukraine drehte doch der Wind...Umsturz ist immer relativ. Aber sind wir fair: Womit hat Russland durchaus recht? Janukowytsch war zwar ein Gangster und Wahlbetrüger (2006), allerdings hatte er 2010 die Wahlen (das ist auch durch die OSZE akzeptiert) in einem korrekten Ablauf gewonnen - er war also demokratisch legitimiert. Er war also ein von Moskau geschätzter Politiker, der sich demokratisch hatte durchsetzen können. Soweit so richtig.
Aber Moskau dankte es ihm schlecht. Denn Janukowytsch wollte zweigleisig fahren (einerseits sicher zum Wohle der Ukraine, aber vermutlich auch um andererseits noch etwas mehr Geld abzweigen zu können), d. h. einmal angelehnt an Russland und einmal angelehnt an die EU (Assoziierungsabkommen mit der EU). Und das wiederum wollte Hr. Putin aus machtpolitischen Erwägungen keinesfalls hinnehmen - also setzte er seinen Kompagnon Janukowytsch massiv unter Druck, es war eine offene Erpressung seinerzeit, als sie sich 2013 bei Moskau auf dem Flughafen Domodedowo trafen. Putins Ansage war klar: Schließt du Verträge mit der EU ab, sitzt ihr im Dunkeln und es wird kalt.
Janukowytsch, derart unter Druck gesetzt, zuckte zurück und gab der EU einen Korb. Im Ergebnis flog ihm daheim der Laden um die Ohren. In Moskau rechnete man fest damit, dass Janukowytsch den Laden im Griff hat, notfalls im Sinne einer weißrussischen Vorgehensweise. Aber dazu war Janukowytsch entweder nicht willens oder nicht fähig - zumal nicht alle in seiner Regierung einen blutigen crack down auf die Demonstranten hingenommen hätten. Als wochenlang die Proteste tobten und als die eigenen Reihen immer mehr wackelten (er wurde intern auch angehalten, das Drama zu beenden), ging er auf das Angebot einer Verhandlungslösung ein (siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Vereinbaru...er_Ukraine).
Am nächsten Tag flüchtete er aber überraschend nach Russland. In Moskau war man ob dieser Flucht sehr unglücklich und warf Janukowytsch hinter den Kulissen Schwäche und Feigheit vor - offiziell sprach man natürlich von einem Staatsstreich. Dass es aber Putins Politik selbst war, die Janukowytsch derart in die Bredouille brachte, wird natürlich nicht erwähnt. Darüber hinaus versuchte man in Moskau, Janukowytsch wieder einzufangen - was ihn dann, nachdem er abgesetzt wurde, vermutlich dazu "motivierte" eine Ansprache aus dem goldenen Exil-Käfig (und mutmaßlich mit FSB-Schalldämpfer im Rücken) zu halten, wonach er ja immer noch Präsident sei. Allerdings war er da bereits als Handlanger des Kreml desavouiert.
In gewisser Weise war es also ein Umsturz, aber doch wiederum nur ein halber, da es einer war, der von allen Protagonisten zwischen Moskau, Brüssel und Washington ziemlich schamlos herbeigeführt oder riskiert oder beeinflusst wurde. Ich will Janukowytsch sicher nicht in Schutz nehmen, er war ein skrupelloser, mafiöser Patron, man denke auch an die ominöse Vergiftung von Juschtschenko einige Jahre zuvor, aber bei diesem Machtspielchen um Kiew war er vermutlich nur eine Bauernfigur.
Zumindest ist es an Schamlosigkeit kaum zu überbieten, wenn man nun im Kreml versucht, diese damals durch Moskauer Handlungen mitverschuldete Misere in Kiew als Begründung für einen Angriffskrieg acht Jahre später und mit hunderttausenden Opfern zu (v)erklären.
Zitat:Schon die Aussage in Polen und Tschechien Raketen zu stationieren zur Abwehr von Angriffen des Irans , also bitte das ist ja wohl mehr als lächerlich.Natürlich ist es das. Mit geplant zehn Siloraketen einen russischen Erstschlag aufhalten zu wollen ist faktisch unmöglich. Aber das Vorhaben (EIS) wurde seitens der USA bis auf die Naval Support Facility Redzikowo eingestampft, insofern braucht man darüber nicht mehr zu reden. Aber immerhin bekommt Europa nun wohl einen eigenen Abwehrschirm, der ohne Hr. Putins Angriff auf die Ukraine so wohl nie gekommen wäre...
Zitat:Die Ungarn Polen und Tschechen sind die denen es von den Freiheiten und Konsum am besten ging im Ostblock.Das ist nicht ganz korrekt. Polen und Ungarn ging es nach dem Krieg sehr schlecht, zumal beide, obgleich schwer kriegsverwüstet, sogar noch Rohstoffe nach der UdSSR transferieren mussten. Einzig die Tschechoslowakei konnte halbwegs ein gewisses Versorgungsniveau halten, was aber auch an der relativ soliden wirtschaftlichen Basis lag. Darüber hinaus lag das BIP der UdSSR zwischen 1960 und 1990 stets um ca. den Faktor 2 (Ungarn) oder 3 (Polen) höher. Zu den freiheitlichen Aspekten werden ich hier nicht viel ausführen - ich erinnere an den Ungarn-Aufstand 1956, den Prager Frühling 1968 und die Repression in Polen (Bierut und später Jaruzelski).
Zitat:Noch dazu sollte man die Geschichte nicht vergessen , Ungarn waren immerhin Nazis regiert und Polen hat mit der Ukraine zusammen paar Jahre zuvor einfach mal Russland überfallen um sich zu vergrößern. Zu diesem Zeitpunkt begann in Polen auch die Verfolgung der jüdischen Teile der Bevölkerung und ging bis Anfang der 60er Jahre . Auch in der Ukraine begann es schon in den 20er Jahre. Genauso haben Rumänen , Bulgaren Slowaken und nach ein paar beim Überfall auf Russland von Anfang an mitgemacht.Abgesehen davon, dass du hier sehr wild Halbwahrheiten durcheinander mischen tust und pseudohistorische Assoziationen und Verknüpfungen herstellst (und dabei auch wieder andere Hintergründe weglässt), die bei genauerer Betrachtung nicht haltbar sind, stellt sich die Frage, in welchem Kontext ich das bezogen auf die Ukraine verstehen soll? Das nähert sich bedenklich der Putin'schen Definition seines Krieges als "Entnazifizierung" an...
Zitat:Was hat das mit moralischen bankrott zu tun , die EU kann nur funktionieren wenn die Mitglieder die gleichen Bedingungen erfüllen. . Und den moralischen bankrott hat die NATO wohl reichlich vollzogen und das gleich mehrfach auch ohne das es dabei um die Erweiterung ging.Ich glaube, wir schreiben aneinander vorbei.
Ich versuche es nochmals zu erklären: Gerade in Polen, im Baltikum und bei den Ungarn und Tschechen hatte man durchaus große Angst, dass es nach 1990/91 einen Deal zwischen Ost und West geben könnte, d. h. dass es keine NATO-Osterweiterung gibt. Und man hätte dies erneut so verstanden, als wie wenn die Westmächte die Ostmitteleuropäer wieder in Stich ließen. Historisch bezieht sich dies in Polen v. a. auf 1939, später dann auf den Warschauer Aufstand 1944 und noch auf die Aufteilung Nachkriegseuropas nach der Potsdamer Konferenz von 1945. Die Balten beziehen es auf den Hitler-Stalin-Pakt, der sie den Sowjets auslieferte, die Tschechen beziehen es v. a. auf den Prager Frühling, die Ungarn auf den Aufstand 1956, als seitens des Westens in beiden Fällen es zwar Proteste und Solidaritätsbekundungen gab, aber ansonsten keine Reaktionen erfolgten.
Ein Ausschluss dieser Länder aus den westlichen Institutionen wäre in keiner Weise vertretbar gewesen und wäre von diesen Ländern als erneute Bankrotterklärung, quasi als ein moralisches Versagen der Westmächte verstanden worden.
Schneemann