Zitat:Die deutsche Wiedervereinigung war ein Glücksfall der Geschichte nach dem Zusammenbruch des Ostblocks.
So ist es. Man muss sich darüber im Klaren sein, dass die Wiedervereinigung, wenn sich der Ostblock und gerade auch die UdSSR nicht in einer eklatant angespannten und katastrophalen wirtschaftlichen Lage befunden hätten, sich sehr wahrscheinlich so nicht ereignet hätte.
Auch die Abrüstungsavancen, die der bei uns so gerne gemochte Gorbatschow gen Westen und nach Washington sandte, waren nicht einer inneren Überzeugung entsprungen, sondern rührten größtenteils aus einer Zwangslage her, und zwar daher, dass im Kreml ihm (ausnahmsweise einmal) die realen Fakten auf den Tisch gelegt wurden - und hier wurde nicht nur der desolate Zustand der UdSSR umrissen, sondern ihm wurde auch mitgeteilt, dass die "Verbündeten" des Warschauer Paktes faktisch pleite waren und nur noch am Tropf Moskaus hingen, das diesen Tropf selbst kaum mehr bedienen konnte. Darüber hinaus gärte es auch innenpolitisch in fast allen Ostblockstaaten...
Gorbatschow war also der Insolvenzverwalter - und er wurde von der alten KGB- und KPdSU-Kamarilla, die den Wagen gegen die Wand gefahren hatte, vorgeschoben als unverbrauchtes Gesicht, da von denen keiner die Verantwortung für den Niedergang und den drohenden Kollaps übernehmen wollte - und ihm blieb dann gar nichts mehr anderes übrig, als im Westen irgendwie nach einem Ausgleich zu suchen.
Interessanterweise - und das ist sowieso eine der großen Heucheleien der russischen Politik - sind es aktuell gerade die Kindeskinder dieser alten roten Kamarilla, die Gorbatschow als den "Reichsverweser" sehen und ihm unfairerweise den Großteil der Schuld am Zerfall der UdSSR zuschieben (da zählt übrigens auch Hr. Putin dazu). D. h. sie hatten nicht nur nicht einmal den Mut, selbst die Verantwortung für ihr Versagen zu übernehmen, sondern sie verteufeln nun sogar noch den Mann, den sie selbst vorgeschoben hatten als Sündenbock. Ob das nun immer berechnende Absicht ist oder ob sie es heute teils wirklich glauben, ist allerdings nicht immer sicher zu sagen. (Übrigens findet man diese feindselige Haltung ggü. Gorbatschow auch bei jüngeren Russen, die diese wohlfeilen Phrasen einer verlogenen Kremlführung tatsächlich glauben.)
Fakt ist aber, dass "Gorbis" Gang nach Westen, der Zerfall des Ostblocks und daraus resultierend auch die Wiedervereinigung kein Geschenk des Zufalls oder einer plötzlich freundlichen Politik Moskaus geschuldet waren, sondern dass diese Umstände aus der Zwangslage heraus entstanden waren, dass das erodierende System im Osten für Moskau nicht mehr haltbar erschien und war. Und dass BK Kohl dann Gorbatschow (den er übrigens 1986 mal mit Joseph Goebbels verglichen hatte) mit Weizen- und Geldlieferungen unter die Arme griff zwecks der Stützung des wackelnden Riesenreiches, tat noch sein übriges, damit der Kreml die DDR letztlich freigab.
In der Folge davon übrigens - Stichwort: NATO - war man in Washington von Anfang an skeptisch und auch realistischer als in Deutschland, was die wahren Intentionen Moskaus betrifft. Während man in Deutschland verständlicherweise im Jubeltaumel der Wiedervereinigung versank und "Gorbi" hochjubelte, war man in Washington zwar froh über die Wiedervereinigung (wurde doch so auch ein Verbündeter gestärkt - übrigens setzte sich damals Bush [sr.] auch über Bedenken in Paris und London hinweg), aber man ahnte zugleich, dass diese Avancen der Sowjets nur deshalb möglich geworden waren, weil die UdSSR vor dem Zusammenbruch stand und nicht, weil es aus Überzeugung geschah. Aus diesem Grund blieben die USA bei den Aussagen zur NATO-Osterweiterung auch eher vage. (Zumal man kaum Optionen gehabt hätte, den demoralisierten und nach Westen schauenden Staaten des ehem. Ostblocks, die froh waren von der Tyrannei des Kreml sich absetzen zu können, die Türe vor der Nase zuzuschlagen.)
Und gerade das, eben diese angeblichen Zu- und Aussagen, dass "die NATO nicht nach Osten sich ausbreiten werde" (so wird es ja kolportiert), wird von den Kindeskindern der eigentlichen "Vernichter" des roten Reiches heute angeführt, wenn sie versuchen ihren Überfall auf den Nachbarn zu rechtfertigen, der dem russischen "Restreich" aktuell eine Bürde sondersgleichen auferlegt bzw. hunderttausende Opfer abverlangt (und der möglicherweise in der Zukunft einen neuerlichen, weitergehenden Zerfall Russlands bedingen könnte).
Es schließt sich somit also der bittere Kreis: Die Herrscher des Kreml sind sich und ihrer alten "Tradition" treu geblieben - wie ihre Vorväter von der KPdSU und vom KGB ruinieren sie das Land, pflegen Heuchelei und Paranoia, bereichern sich und ihre treue Politkamarilla, belügen sich selbst, streuen Fehlinformationen und sind nebenbei auf dem besten Wege, einen neuerlichen Zerfall Russlands zu riskieren. Nur sehe ich aktuell keinen Gorbatschow, den man als "Sündenbock" vorschieben könnte, um nicht selbst die Verantwortung für das Debakel übernehmen zu müssen...
Schneemann