Es hat wohl den Anschein, als wenn der Beginn einer größeren russischen Aktion bevorsteht. Zumindest hat es letzte Nacht wohl die stärksten Attacken gegen die ukrainische Infrastruktur seit mehr als sechs Wochen gegeben (was die These erhärten könnte, dass man das noch verfügbare Arsenal die letzten Wochen bewusst zurückgehalten hatte, um so die Reserven wieder etwas aufzufüllen und um dann um so stärker wieder zuzuschlagen).
Dazu:
Zitat:DIE NACHT IN DER UKRAINE
Schwere Schäden an ukrainischem Energienetz nach russischen Angriffen
Die Beschuss hielt in der Nacht an. Seit Freitagmorgen soll Russland laut Kiew 71 Marschflugkörper eingesetzt haben. Präsident Selenskyj machte seinen Landsleuten mit Berichten von seiner Europareise Mut. [...]
Mehrere Wärme- und Wasserkraftwerke seien beschädigt worden, sagte der Chef des Energieversorgers Ukrenerho, Wolodymyr Kudryzkyj, am Freitagabend im ukrainischen Fernsehen. Besonders schlecht sehe es mit der Stromversorgung im Gebiet Charkiw aus. Wegen der Instabilität im ukrainischen Stromnetz musste am AKW Chmelnyzkyj ein Reaktorblock abgeschaltet werden, in den Kernkraftwerken Riwne und Südukraine wurde die Produktion gedrosselt. Präsident Wolodymyr Selenskyj verurteilte den russischen Angriff mit etwa 100 Raketen und Marschflugkörpern vom Freitag als Terror. [...]
Nach Angaben des ukrainischen Generalstabs setzte die russische Armee bei den Angriffen seit Freitagmorgen 71 Marschflugkörper ein. 61 davon seien abgefangen worden. Die Marschflugkörper seien von russischen Schiffen im Schwarzen Meer und von Flugzeugen aus abgefeuert worden. Außerdem habe Russland nach vorläufiger Zählung 29 Raketen des eigentlich zur Luftabwehr bestimmten Systems S-300 gegen Bodenziele in der Ukraine eingesetzt.
https://www.faz.net/aktuell/politik/ausl...70943.html
Interessant finde ich, wenn die Angaben stimmen, dass a) von den Flugkörpern insg. 61 von 71 abgefangen worden sein sollen, was wiederum die Frage aufwirft, ob zehn Flugkörper derart massive Schäden verursachen können? Bzw. ob hier nicht die Schäden wieder etwas übertrieben hochgezeichnet werden (aus bekannten Gründen)? Weiterhin ist es interessant, dass b) hier nicht von Drohnen, sondern von Marschflugkörpern bzw. sogar zweckentfremdeten S-300 gesprochen wird. Hat man russischerseits nun auf die iranischen Drohnen weitgehend verzichtet? Oder hat man diese wegen der eher geringen Wirkung aus dem Sortiment genommen? Oder sind unter den Marschflugkörpern schon iranische zu finden (d. h. die Iraner haben diese also doch geliefert)?
Da nach verschiedentlichen Angaben Russland eine neue Bodenoffensive gestartet haben soll, könnte dieser Raketenschlag quasi eine Art von Ouvertüre sein...
Zitat:Tauwetter setzt unter Zeitdruck
Russland startet Offensive in Ostukraine
Die Angriffe russischer Truppen in der Region Luhansk nehmen zu, die erwartete Offensive beginnt wohl. Das liegt einerseits am näher rückenden Jahrestag der Invasion, andererseits am drohenden Witterungsumschwung. Die Zeit für die russische Armee drängt. Und Putin will einen Erfolg vorweisen.
Das russische Militär hat nach Einschätzung des örtlichen Gouverneurs die Angriffe in der Ostukraine deutlich verstärkt. Die russische Armee versuche, die ukrainischen Linien bei Kreminna zu durchbrechen, sagte der Gouverneur der Region Luhansk, Serhij Hajdaj, dem ukrainischen Fernsehen. [...] Kreminna liegt etwa 100 Kilometer nordwestlich der Regionalhauptstadt Luhansk und hatte vor der russischen Invasion etwa 18.000 Einwohner. Wenige Kilometer entfernt liegen die Großstädte Sjewjerodonezk und Lyssytschansk, die im Sommer des Vorjahres nach langen und verlustreichen Kämpfen durch russische Truppen erobert wurden. Sollten die russischen Streitkräfte die ukrainischen Verteidigungsstellungen in der Region durchbrechen, könnten sie ein Stück weiter in Richtung der Großstädte Kramatorsk und Slowjansk vorrücken. [...]
Bisher können die ukrainischen Soldaten die Verteidigungslinien halten, heißt es. Allerdings habe die Offensive Russlands laut ISW-Einschätzung noch nicht ihr volles Tempo erreicht. [...] Nach Erkenntnissen des britischen Geheimdienstes ist der Boden in der Ukraine derzeit noch weitgehend gefroren, die Temperaturen bewegen sich allerdings bereits wieder um 0 Grad, sodass es zu erster Schlammbildung kommen kann.
https://www.n-tv.de/politik/Russland-sta...04730.html
Hierzu auch:
Zitat:Russia is expected to launch a new Ukraine offensive, but it faces a familiar obstacle: Mud [...]
Ukraine and many Western analysts believe Russia is on the precipice of launching a new, large-scale offensive but it’s likely to encounter a familiar obstacle: mud. Frozen ground conditions in Ukraine are expected to give way to a thaw in the coming weeks, turning the war-torn nation’s fields and rural roads into a quagmire for troops and tanks. [...]
Despite its infamy and annual occurrence, the mud still managed to surprise Russian forces after they invaded Ukraine last February with images and footage online showing Russian tanks and armored vehicles stuck and abandoned in the mud, much to Ukraine’s satisfaction. Needless to say, however, its own forces are not immune to the problem. [...]
Some Western observers thought the freezing winter in Ukraine would provide an opportunity for both Russian and Ukrainian forces to regroup and rearm ahead of spring offensives but the fighting has remained intense, particularly in the Donetsk and Luhansk areas of eastern Ukraine. Analysts say Russia will launch a new, large-scale offensive within the next couple of weeks and could look to make gains before the “rasputitsa” sets in.
Max Hess, fellow at the Foreign Policy Research Institute, noted the spring “rasputitsa” is more of a challenge than the autumnal one as it becomes “even more difficult for vehicles and materiel to travel through given the thaw of the frozen earth and snowpack.”
https://www.cnbc.com/2023/02/10/russia-i...again.html
Ich sehe das sogar ein wenig anders als der britische Geheimdienst - für mich ist der Zug für eine größere Bodenoffensive bereits seit zwei Wochen abgefahren, zumindest wenn man mit schwerem Gerät vorgehen will. In der Ostukraine werden die Böden bereits jetzt matschig bzw. sind es schon wieder (der Winter war auch insgesamt gesehen zu regnerisch).
Wenn man allerdings eher auf Infanterie mit Artilleriesupport setzt, dann könnte man durchaus vorankommen, was aber dann natürlich ziemliche Verluste bedeuten würde. Hinzu kommt, dass, wenn die Ukrainer sich nun zäh verteidigen und wenn die Russen im bisherigen Tempo weitermachen, sie zum Aufbrechen der gegnerischen Linien mindestens ein, zwei Wochen brauchen werden. D. h. dann, wenn sie den Durchbruch hinbekommen (rein theoretisch einmal angenommen), dann stehen sie in zwei Wochen in der gleichen Schlammwüste wie vor einem Jahr schon. Und dann geht erst mal wieder gar nichts bis Mitte April. Aus russischer Warte betrachtet wäre es sinnvoller gewesen, die eigenen Kräfte zu schonen, auszubilden, auszustatten und dann den Frühling abzuwarten, anstatt jetzt hastige Offensivvorstöße zu unternehmen, die vermutlich nur geringe Geländegewinne mit sich bringen, aber horrende Personalausfälle verursachen werden. (Aber wahrscheinlich sind diese Verluste der Kremlführung egal.)
Und das Argument, dass man vor der Ankunft der westlichen Panzermodelle noch Fakten schaffen wolle, erachte ich auch als wenig belastbar. Die Ukrainer werden mit diesen Panzern auch nur "höchstens" schwerpunktbildende Offensivaktionen vornehmen können (rein defensiv bringen diese Panzer auch wenig) und sie wären somit auch frühestens im April/Mai zu einem Gegenstoß mit diesen Modellen befähigt, weil wenn T-72 und Co. im Sumpf stecken bleiben, dann gilt dies für deutlich schwerere westliche MBTs noch viel eher. Die Russen wären also gut beraten, die Zeit bis zur Ankunft der westlichen Panzermodelle zu nutzen, um an einer Stärkung der Abwehr in diesem Bereich zu arbeiten - d. h. infanteristische Panzerabwehr, Richtminen, Minenriegel, Sperrwerke zur Kanalisierung von Vorstößen, Übung von Gegenstößen bei Einbrüchen, Verfeinerung des Zusammenwirkens von Drohnen/Aufklärung und Artillerie/Werfern etc. Aber stattdessen rennen sie weiter gegen Sperrwerke an und generieren unnötige Verluste wegen viertklassigen Orten und Weilern...
Schneemann