Wobei aber zwischen den genannten Bsp. Mali, Afghanistan oder selbst Irak aufgrund der asymmetrischen Kriegsstruktur ein deutlicher Unterschied bestand zu dem an den 1. Weltkrieg erinnernden Szenario in der Ukraine.
Diese Stellungs- und Artilleriekriege, dieser massive Munitionseinsatz, diese auch sehr hohen Verluste sahen wir in den genannten Bsp. ja nicht, auch waren dies keine Kriege zwischen hochgerüsteten Ländern, sondern eben asymmetrische Konflikte. Insofern würde ich davon auch nicht ableiten wollen, dass die westlichen Staaten keine glücklichen Händchen hätten (damit beziehe ich mich nun nicht auf politische Fehleinschätzungen). Genau genommen haben die Westmächte seit 1945 auch keinen Krieg mehr gegen einen anderen, entsprechend leistungsstarken staatlichen Antagonisten in diesem Umfang geführt, selbst die Falklands oder Vietnam, wo ja bei letztgenanntem Bsp. immer noch vieles asymmetrisch war, kann man nicht damit vergleichen. Vielleicht am ehesten noch vergleichbar ist der Koreakrieg mit den Stellungskämpfen am 38. Breitengrad 1952/53.
D. h. einen richtigen "full scale war", der es notwendig machen würde, entsprechende Umstellungen auch in der eigenen Industrie und in der Finanzwirtschaft vorzunehmen und Mobilisierungen einzuleiten, gab es seit 1945 im Westen nicht mehr. Ich würde deswegen auch nicht gleich von Rückgratlosigkeit sprechen, sondern eher von Zweifeln, Unwissenheiten, Überforderung oder Vorsicht, aber auch interner Pluralität, zumal es bekanntlich demokratischen Gesellschaften ungleich schwerer zu "verkaufen" ist, in einen Krieg zu ziehen mit all den damit zusammenhängend Unbilden, als wie dies in einer Diktatur mit einem massiv konsolidierenden Propaganda- und Repressionssystem der Fall wäre.
Das bedeutet, dass Russland uns gegenüber einen gewissen internen Vorteil hat, nämlich den der gesellschaftlichen Einflussnahme - auch heute noch zweifeln durchaus viele Russen "an denen da oben", hadern mit der Unfähigkeit der Führung, den Oligarchen um Putin und der Korruption, glauben aber dann dennoch wieder (fast zwangsläufig) oft die gebetsmühlenhaft wiederholten Propaganda-Narrative vom Kampf gegen "Nazis, NATO und NGOs". Und sie ziehen dann doch zwar meckernd und fatalistisch los, aber ziehen eben doch los, weil sie glauben, keine andere Option zu haben.
In den westlichen Demokratien wäre das so nicht denkbar, man beobachte alleine die teils heftigen Diskussionen, die die Lieferung von 16 Leopard-Panzern an die Ukraine in Deutschland verursacht haben. Diese Panzer werden keinen Durchbruch bis nach Wladiwostok bedeuten, aber sie haben dennoch bereits hohe Wellen geschlagen (und mancher Parteigänger in Deutschland hat auch gerne die russischen Narrative dazu aufgegriffen). Man denke mal daran, wie bei uns der (wohl teils inszenierte) Shitstorm toben würde, wenn wir an eine Wehrpflicht oder gar eine Mobilisierung denken würden?
Und derartige Streitereien findet man auch übrigens in England, den USA, in Frankreich, Italien oder sogar in der "neutralen" Schweiz. Das ist in gewisser Weise gut, denn es zeigt die Pluralität der westlichen Gesellschaften, aber es kann in einem Krieg, der einen nicht direkt betrifft, wo man aber eine der beiden Kriegsparteien unterstützt, wiederum ein Hemmschuh werden - und da hat Russland hinsichtlich der inneren Gleichschaltung die Nase vorne.
Zitat:Über die langsame, aber wachsende Anpassungsfähigkeit der Russen:
Auch das zieht sich wie ein roter Faden durch fast alle Konflikte, an denen Russland beteiligt war. Man hatte in der ersten Hälfte von Kriegen oftmals fürchterlich Prügel bezogen, dann aber sich langsam auf den Gegner eingestellt und eigene Gegenstrategien aufgebaut, die in der zweiten Hälfte eines Krieges dann das Pendel zugunsten Moskaus haben ausschlagen lassen. Das findet sich bei Karl XII. und seinem Russlandkrieg, findet sich bei Napoleon, findet sich bei Hitler. Einzig im 1. Weltkrieg kollabierte das System, was aber daran lag, dass das System intern schon so morsch und ausgezehrt war (und von eigenen Revolutionären unterwandert war), dass gar keine Kraft und auch kein Willen mehr bestand, eine großartige Gegenstrategie zu entwerfen und anzuwenden. Ob die Herrschaft Putins jedoch schon derart am Ende ist, da möchte ich vorsichtig Zweifel anmelden. Auch wenn es knirscht, so zerrüttet wie die Romanow-Dynastie ist das System Putin wohl noch nicht...
Schneemann