(21.01.2023, 23:50)Quintus Fabius schrieb: [ -> ]Wie soll man nun damit umgehen? Das ist eine schwierige Frage, ich verstehe vollauf deine Empörung, und deine scharfe Ablehnung solcher Äußerungen, dessen ungeachtet ist dies eine Sichtweise, welche im Iran und auch bei vielen Exil-Iranern Gang und Gäbe ist. Die geht ja nicht weg, nur weil man sie einfach aus der eigenen Wahrnehmung verbannt. Die Probleme welche durch eine solche Geisteshaltung verursacht werden verschwinden ja nicht, nur weil man sie per Löschung und Sperrung ins Dunkelfeld verbannt.
Es ist daher eigentlich viel interessanter dies alles ins Hellfeld zu holen. Im übrigen wäre dies sogar für den Staatsschutz viel interessanter, den du hier so schnell anführst. Es geht mir / uns also nicht darum, diesen Eintrag einfach abzutun, sondern ich habe ihn beispielsweise ganz bewusst und intentional zugelassen, weil er aufzeigt, wie fremd und wie abweichend andere Völker und Kulturen denken und erst in der Erkenntnis dieser Andersartigkeit kann man überhaupt anfangen über nachhaltige Problemlösungen nachzudenken. Ein Problem der heutigen deutschen Politik ist vor allem anderen der blinde Glaube an die Universalität der eigenen Auffassungen und das Leugnen der Unterschiede.
Daher sind solche Aussagen im Hellfeld meiner Meinung nach wertvoller als wenn man diese Realität leugnet und aus seiner Wahrnehmung verbannt. So wird zum Beispiel klar, dass der Iran an sich ein Feind ist, warum es notwendig ist gegen ihn vorzugehen, auf welche Weise und bis wohin man gegen ihn vorgehen kann, warum er ein Feind ist und wie er dazu wurde. Dies ist alles viel nützlicher als wenn man sich dieser Realität nicht stellen wollte.
Es ist schwierig hierauf eine erschöpfende und befriedigende Antwort zu geben, wie ich finde. Zumal hier schlicht eine neue Büchse der Pandora eröffnet wird und uns in der Folge bei etlichen Punkten sehr wahrscheinlich schlicht das Wissen in der Tiefe fehlt. ;-) Der Cicero-Artikel wirft per se schon einige wichtige Aspekte in die Waagschale, die es durchaus wert sind beachtet und näher hinterfragt zu werden.
Diese Tradition iranischen Arierbewusstseins in verschiedenen Teilen der Bevölkerung war mir durchaus geläufig und hin und wieder habe ich mich damit (gänzlich am Rande allerdings) beschäftigt. Und natürlich hat dieser Begriff in seinem Ursprung rein gar nichts mit unserem Bewusstsein vor dem Hintergrund der NS-Vergangenheit unserer Kultur zu tun. Er ist schlicht durch unsere deutsche Geschichte und den Umgang mit ihr belastet.
Natürlich gebe ich dir da auch an anderen Stellen Recht. Dem Staatsschutz als solchem ist mit hoher Wahrscheinlichkeit eher gedient, wenn gewisse Kräfte / Strömungen sich frei und öffentlich äußern - kenne deinen Feind und halte ihn nah bei dir. Allerdings ist und bleibt dies eine Gratwanderung, die schnell zu neuen Problemen führen kann. Siehe NSU-Prozesse, Vorgehen im angestrebten NPD-Verbot etc.pp.
Und ja, auch ich denke, dass deine Gedanken hinsichtlich des „Hellfelds“ etliche Vorteile bieten.
Trotz alledem komme ich nach Abwägung all dieser und noch anderer Aspekte zu dem Schluss, dass unser ursprünglicher Autor an dieser Stelle sehr wohl die Grenzen zumindest verwischt hat (sei es bewusst oder nach dem hastigen Genuss von drei Flaschen Portwein) und sehr wohl NS-Gedankengut erwogen hat - wie es auch andere politisch tätige Iraner in Führungsposition immer wieder gerne tun, wohl wissend, dass sie damit (durchaus rein provokativ) auf Israel und die Juden zielen - wenngleich natürlich auch immer wieder geschickt bestehende Ressentiments in der eigenen Bevölkerung nutzbringend einzufangen (Stichwort „nützliche Idioten“) und somit folgerichtig auch immer wieder erfolgreich den eigenen Machtanspruch sichern können - das gemeinsame Feindbild / Stereotyp als kleinster gemeinsamer Nenner.
In diesem Zusammenhang passt sich auch sehr gut ein, dass wohl insbesondere junge Auslandsiraner hier ein Betätigungsfeld zu finden scheinen (sei es hier allerdings dagegen die Wahrnehmung von Arabern / Sunniten), befinden gerade diese sich doch oftmals in einer Art Identitätskonfusion (Stufenmodell nach Erikson) - was für junge Menschen, egal welcher Herkunft, schlicht normal ist (Aufbegehren gegen das Elternhaus, das bestehende System usw. usf.).
Fazit: Eine klare Abgrenzung und Sicherheit im Gebrauch der Terminologie kann ich beim Autoren jedenfalls nicht herauslesen. Die Ukrainer z.B. (wie wir hier alle wissen) stammen ebenso von schwedischen Wikingern ab, wie die Rus. Und letztlich hießen diese Reiche auch einmal Kiewer Rus, Reich von Nowgorod etc., um nur ganz kurz den Bogen zu spannen. Da war Moskau noch nicht einmal existent. Am Ende ist dies einfach zu viel ideologischer Nebel, ohne diesen historisch wissenschaftlich zu lüften.
Quintus, beinahe hätte ich den fast wichtigsten Punkt Deiner Ausführungen ignoriert, das Vorhandensein anderer Wahrnehmungen in Bezug auf spezielle Kontexte. Da gebe ich Dir am Ende ebenfalls voll umfänglich Recht. Oft ist dies in unserer „aufgeklärten“ Denkweise beinahe unvorstellbar, dass andere Kulturkreise, z.B. arabische Welt, China, oder eben auch vermeintlich sehr ähnliche Kulturkreise, wie etwa UK, dann gänzlich anders zu ticken scheinen (umgekehrt denkt man im Umkehrschluss dort konsequent auch so über uns) und gerade deswegen in der Auseinandersetzung mit eben solchen Sichtweisen ein großer Zugewinn liegen kann - Stichwort Multiperspektivität.
Viele waren sicherlich verwundert, wie groß die Gräben in den Ansichten über den Ukrainekrieg und die kriegführenden Parteien mitten durch unser Land verlaufen und als beinahe unüberwindbar erscheinen. Erst jetzt bekomme ich langsam das Gefühl, dass etliche Menschen wieder etwas entspannter und offener damit umgehen. Aber vielleicht liegt dies auch schlicht an mir selber und meiner ganz persönlichen Wahrnehmung.