Schneemann:
Zitat:weiß jeder Luftkriegsstratege mittlerweile, dass dieses Terrorbombing letztlich nicht wirklich etwas bringt, eher stellen sich die Betroffenen sogar noch hinter ihre Herrscher.
Das ist eine auf die kurzfristigen Effekte beschränkte Sichtweise. Natürlich führt eine solche Kampagne erstmal dazu, dass sich die Mehrheit eher noch hinter die Regierung stellt, wird ihr durch die Terrorangriffe ja selbst vor Augen geführt, dass der Feind nicht gegen ihre Regierung, nicht gegen ihre Führer / Eliten, sondern gegen sie selbst kämpft. Aber wie gesagt ist das nur der kurzfristige Effekt. Langfristig biegt sich dass dann wieder ins Gegenteil um: die Eliten können uns ohnehin nicht schützen, wir müssen immer weiter leiden, dass führt dann zu einer Abkehr der Bevölkerung von den Ideen und Werten denen sie vorher gefolgt sind. Alles eine Frage der Umstände und der Zeitdauer.
Der längerfristige Effekt ist darüber hinaus auch in seinen Auswirkungen auf die Kultur viel interessanter. Beispielsweise war die weitgehende Zerstörung der deutschen Städte im 2WK durchaus ein wesentlicher Faktor dafür, dass der Nationalsozialismus als Ideologie in Deutschland so nachhaltig geschlagen werden konnte. Das führt aber jetzt hier im Strang zu weit weg vom Thema.
Auch wenn die Zahlen meilenweit auseinandergehen, so nahm HRW an, dass vermutlich ca. 500+ Zivilpersonen in Serbien starben - in zweieinhalb Monaten.
Die Zahl der Toten ist gar nicht relevant. Den für Menschen in ihrer gedanklichen Beschränkung ist es in Wahrheit gar nicht erfassbar ob da 1000 Tote sind oder 10.000 Tote oder 100.000 Tote. Viel relevanter ist, dass in 80% der Fläche Serbiens der Strom ausfiel und dass es weitreichende sichtbare und unmittelbar begreifbare Zerstörungen gab. Das erzeugt kurzfristig mehr Hass, bricht aber langfristig.
Es ist daher gar nicht relevant, ob in der Ukraine auf die Gesamtfläche und 44 Millionen Einwohner in 7 Monaten nun 5000 Zivilisten getötet wurden oder in Serbien nur 500 in zwei Monaten auf nur 6 Millionen Einwohner. Es geht um die psychologischen Effekte, und diese hängen nicht linear an der Zahl der getöteten Zivilisten, sondern an der Frage, wie die Effekte psychologisch wirken.
Beispielsweise erzeugte die Luftkampagne der NATO im Irak Effekte welche eine geradezu lähmende Wirkung auf die irakische Zivilbevölkerung hatten. Man sprach nicht umsonst von Shock and Awe. Wie schon Bruchmüller es viel früher richtig feststellte, ist weder die Zahl der Granaten insgesamt noch die Zahl der feindlichen Verluste relevant, sondern deren Sichtbarkeit im Verhältnis zur Zeit und je wirksamer werden die Effekte, in desto kürzerer Zeit sie auftreten.
Gerade eben deshalb hat die russische strategische Luftkriegsführung nur eine geringe Wirkung, den die Angriffe sind dafür zu zerstreut, zu sporadisch und haben ein schlechtes Verhältnis von Sichtbarkeit zur Zeitdauer.
Zitat:Davon abgesehen haben die USA auch nicht behauptet, dass sie 99% aller Ziele präzise getroffen hätten
Behauptet haben sie es. Am 22. Oktober. Dass dem in der Realität natürlich nicht ansatzweise so war ist völlig klar. Das auseinander klaffen von Behauptungen und Realität haben die Russen ja nicht allein für sich gepachtet. So war der Angriffskrieg gegen Serbien um den Serben den Kosovo weg zu nehmen ja offiziell auch kein Krieg, sondern eine militärische Intervention der NATO. Oder gar eine humanitäre Intervention (Fischer). Ohne UN Mandat wurde Serbien also in einer humanitären Friedensintervention bombardiert. Dessen ungeachtet ist es höchst einfach: Das Völkerrecht gibt keine humanitäre Intervention her, genau so wenig wie eine militärische Spezialoperation, dass ist im Endeffekt also alles das gleiche Gedöns.
Zitat:Ich verstehe den Vergleich nicht - und ich weiß auch nicht, ob man den Luftkrieg von vor 50 Jahren auf die Gegenwart übertragen sollte (kann?), da liegen technologisch zu viele Entwicklungssprünge dazwischen.
Und auch kulturell und auch von der Auffassung her was Krieg ist und wie dieser geführt werden darf usw.
Dessen ungeachtet hat sich der Mensch selbst nicht verändert. Er folgt immer noch ganz genau so den gleichen psychologischen Mechanismen.