Tiger:
Zitat:Erzähl uns mal mehr über diese frühesten Spuren der indoeuropäischen/-germanischen Sprache...
Das Problem dabei ist, dass hier eigentlich alles hochspekulativ ist und man nur diverse Thesen aufstellen kann. Die klassische Sprachwissenschaft geht davon aus, dass die Indoeuropäische Ursprache sich zwischen 3400 v Chr und 3000 v Chr aufteilte, und zwar aufgrund bestimmter Wörter wie Rad, Achse usw welche in allen Folgesprachen den gleichen Ursprung haben. Das ist auch recht schlüssig, sagt aber eben rein gar nichts darüber aus, wieviel älter diese Sprache ist. Also wie lange vor 3400 v Chr sie schon Bestand hatte. Zudem muss man sich wohl von der Vorstellung lösen, dass es irgendwann einmal nur eine Ausgangssprache hier gegeben hat welche von einer Gruppe gesprochen wurde. Selbst in der Zeit vor 3400 v Chr gab es anscheinend mehrere Formen des Indoeuropäischen bzw. Proto-Indoeuropäischen die zwar näher beisammen waren und sich nicht so auseinander entwickelten wie danach, aber trotzdem zu unterscheiden wären.
Auch archäologisch wie auch genetisch lässt sich keine Gruppe als Ur-Indoeuropäer identifizieren und damit fehlt der ursprüngliche Träger dieser Sprache was Raum für allerlei Thesen offen lässt.
Die Ursprache selbst weist auf eine nomadische bzw. halbnomadische Lebensweise in einer nördlichen Baumsteppe bzw Kältesteppe hin. Nun könnte gerade diese Lebensweise eine Erklärung sein. Auch später haben alle Nomadenvölker Zentralasiens Sprachen und Kulturen untereinander geteilt ohne dass dies irgend etwas mit der Abstammung zu tun gehabt hätte. Gerade Nomaden haben diese Eigenheit weshalb man beispielsweise heute vom Zentralasiatischen Kultursyndrom spricht. Das gilt für die Hunnen ebenso wie für die Proto-Türken oder die Mongolen etc. Abstammung und Herkunft spielten keinerlei Rolle und die Kultur und Sprache wurde völkerübergreifend weiter gegeben.
Sehr sicher war es bei den Proto-Indogermanen auch so.
Interessant in diesem Kontext ist, dass es zwar gemeinsame Wörter für Rad, Achse, Wagen usw gibt, aber keine gemeinsamen Wörter für Pferd, Reiten usw. das führt zu der Frage, ob das Ur-Indogermanische nicht doch älter ist als die Domestizierung des Pferdes und meiner Ansicht nach verhält es sich so. Und das führt auch zu der Frage, ob man die Bedeutung der gemeinsamen Wörter für Wagen, Rad usw nicht falsch einschätzt. Vielleicht sind diese Wörter erst später in die Indogermanischen Sprachen gekommen so wie auch heute Begriffe ganze Sprachfamilien durchdringen können.
Die Ur-Indogermanen und ihre Sprache existierten daher meiner Meinung nach schon vor der Domestizierung des Pferdes und die Frage von Wägen wird falsch eingeschätzt. Sie lebten ähnlich wie die Steppen-Indianer vor der Ankunft der Europäer, also bevor es Pferde in den Steppen Amerikas gab, als Nomaden, aber ohne Pferde. Auf der Gegenseite gibt es nun wieder gemeinsame Wörter für Milch, Butter und Wolle, was bereits für eine frühe Viehzucht spricht.
Aufgrund genetischer und archäologischer Befunde weiß man aber inzwischen, dass das Pferd in den Eurasischen Steppen bereits ca 5000 v Chr domestiziert wurde. Aufgrund des Sprachbefundes muss man davon ausgehen, dass bereits zu diesem Zeitpunkt Indogermanen aus diesen Steppen in andere Gebiete ausgewandert sind bzw die Sprache sich bereits vor diesem Zeitpunkt in bestimmte Gebiete, auch in Europa verbreitet hatte.
Von daher ist meine These, dass bereits die Ureinwohner in Europa Indogermanen gewesen sind, und beispielsweise die Angehörigen der Trichterbecherkultur (Megalithbauern) bereits um 4200 v Chr Indogermanischer Sprache gewesen sind. Nachfolgende Einwanderungen von Indogermanischen Völkern aus dem westlichen Steppenraum schließt dass in keinster Weise aus und würde sogar erklären, warum bestimmte Wörter nicht gleich im gesamten indogermanischen Raum verteilt sind, insbesondere die Wörter für Pferd und Reiten und warum andere Wörter sich überall verbreiteten wie Wagen - weil hier im Endeffekt Indogermanen in Gebiete einwanderten in denen bereits Völker indogermanischer Sprache und/oder Abstammung lebten und damit die Übernahme neuer Wörter welche die Neuankömmlinge mitbrachten sehr leicht war und daher mit Leichtigkeit erfolgte.
Von daher ist es meine These, dass bereits die Megalithbauern (überwiegend) Indoeuropäer waren bzw die Trichterbecherkultur bereits Träger Indoeuropäischer Sprache, ebenso wie die später eingewanderten Streitaxtleute. Es wanderte also hier ein Indogermanisches Volk (Streitaxtleute) in einen bereits Indogermanischen Raum ein.
Zitat:Ich hatte diese kriegerischen Auseinandersetzungen am Ende der Bandkeramiker-Kultur eher als ein Symptom gesehen. Was die wirkliche Ursache war - vielleicht erschöpfte Böden?
Ob man von einigen wenigen Funden bereits auf massie kriegerische Auseinandersetzungen schließen kann ist ohnehin fragwürdig. Die Böden waren auf jeden Fall nicht erschöpft und in etlichen Gegenden war die Versorgungslage anscheinend durchgehend sehr gut.
Das interessante ist, dass das Ende der Bandkeramiker um ungefähr 4100 v Chr kam und dass die sie ablösenden Megalithbauern (Trichterbecherkultur) sich ab 4200 v Chr massiv in Europa ausbreiteten.
Da ich nun davon ausgehe, dass bereits die Trichterbecherkultur Indogermanisch war:
Zitat:Nach dem was du geschrieben hast reichen die frühesten Spuren der indoeuropäischen Sprache bis etwa 5000 v.Chr. zurück, also zur Endphase der Bandkeramiker. Könnte vielleicht sogar ihr Untergang damit in Verbindung stehen?
bin ich exakt dieser Ansicht, dass der Untergang der Bandkeramiker als Kultur damit in Verbindung steht. Da wir aber wissen, dass die Megalithbauern von der ursprünglichen Bevölkerung vor den Bandkeramikern abstammten, stellt sich die Frage, ob jene die Bandkeramiker ablösende Trichterbecherkultur eine Einwanderung darstellte (wofür es keinelei archäologischen Befund gibt) oder nicht einfach die Übernahme einer neuen Kultur und Sprache und auch einer neuen Religion. Wer aber brachte diese nach Europa und/oder woher kam sie?
Meiner Meinung nach stellt es sich so dar:
Die Ureinwohner Europas waren schon immer Indogermanen, bzw genauer Proto-Indoeuropäer. Die Wiege der Indogermanen steht daher nicht in den Steppen der Ukraine sondern in Europa und reichte schon immer von dort auch in den Steppengürtel hinaus. Kulturell und Technisch hingen diese Völker hinterher. Dann drangen die Bandkeramiker in Europa ein.
Schließlich entwickelten sich fortschrittlichere Indogermanische Kulturen im Bereich der Steppenlandschaften der Ukraine aufgrund der technischen Anforderungen des Lebens als Nomaden. Von dort drangen neue Sprach-, Kultur-, und Religionsimpulse nach Europa und führten dort zum Wiederaufstieg der bereits dort ansässigen Indogermanischen Völker was im Ende der Bandkeramiker und dem Aufstieg der Trichterbecherkultur mündete.
Später wanderten weitere Steppenvölker indogermanischer Sprache nach Europa ein (Streitaxtleute).
Vergleichbar den immer wieder vordringenden Wellen von Steppenvölkern in andere Gebiete, wo ja auch nicht nur einmal ein Volk gekommen ist, sondern wieder und wieder Völker aus dem gleichen Gebiet in die gleichen Gebiete auswanderten und sich dort einmischten.
Nur das hier Indogermanen in bereits Indogermanisches Gebiet eindrangen.
Zitat:Übrigens würde die These das die Bandkeramiker die indoeuropäische Sprache einführten wieder zu einer vermuteten Herkunft dieser Sprache aus dem anatolischen Raum passen.
Und wird entsprechend von den Vertretern der anatolischen These so geführt.
Was ich aber eigentlich meinte ist, dass bereits vor dem Eintreffen der Bandkeramiker in Europa Indoeuropäische Sprachen vorhanden waren. Und dass vielleicht auch die Bandkeramiker bereits eine Indoeuropäische Sprache sprachen.
Das man also die ganze Idee einer Trennung von Nicht-Indogermanen in der Frühzeit und Indogermanischer Einwanderung nach 3000 v Chr aufgeben sollte, sondern dass bereits alle die früher hier lebten und einwanderten auch zur Indoeuropäischen Sprachfamilie gehörten.
Bezüglich der genetischen Abstammung ist noch anzumerken, dass hier wie in vielen Fällen der genetische Befund dem archäologischen Befund widerspricht. Die Bandkeramische Kultur lässt sich nämlich archäologisch nicht als Einwanderung feststellen sondern enstand rein vom Befund her authochton in Europa seit ca 5700 v Chr bis sie sich gegen 4100 v Chr vergleichsweise rasant auflöste.
Man muss sich hier zudem davor hüten, genetische Abstammung, Kultur und Sprache gleichzusetzen. Wir wissen, dass die heutigen Europäer (Indogermanischer Sprachen) genetisch so gut wie nicht von den Bandkeramikern abstammen. Das heißt aber eben nicht, dass diese nicht bereits Indoeuropäisch gesprochen haben könnten und es heißt auch nicht, dass das Indoeuropäische erst später nach Europa gekommen ist.
Zitat:Die vorliegende interdisziplinäre Studie wertete Proben alter DNA (aDNA) einer Bestattungsgemeinschaft der frühneolithischen Fundstelle Derenburg-Meeresstieg II im Mittelelbe-Saale-Gebiet aus. Herausragendes Ergebnis der Studie ist der erstmalige molekulargenetische Nachweis, wonach das genetische Profil der frühen neolithischen Siedler aus Derenburg große Ähnlichkeit mit heute lebenden Populationen im Nahen Osten aufweist. Das bedeutet, dass zumindest in diesem Fall die ersten Bauern nach Mitteleuropa eingewandert sind und nicht die vorher hier ansässigen Jäger- und Sammlerpopulationen lediglich eine bäuerliche Lebensweise übernommen haben.
Also eine Bestattungsgemeinschaft
eines Dorfes. Daraus lassen sich eben kaum Aussagen für die Gesamtheit treffen. Zweifelsohne sind mit der Ausbreitung des Ackerbaus auch Ackerbauern nach Europa eingewandert. Aber das heißt nicht, dass alle Ackerbauern eingewandert wären. Der Gros der Ackerbauern waren gerade eben Jäger- und Sammler welche diese Technologie übernahmen, dass zeigt der archäologische Befund. Die Bandkeramik ist
als Kultur nicht eingewandert. Sie entstand ein Europa!
Zudem ist gerade die Bandkeramik unabhängig von dieser Einwanderung zu sehen. Das heißt, die Menschen die da einwanderten brachten die Bandkeramische Kultur nicht mit, sondern übernahmen diese ebenfalls.
In diesem Kontext spielten meiner Meinung nach Religionen eine wesentliche Rolle. Kulturen waren in dieser Zeit auch primär Kultgemeinschaften und unterschieden sich primär über ihre Religion von anderen Völkern. Wenn also eine Kultur eine andere ablöst, stellte dies überwiegend die Ablösung einer Religion durch eine andere Religion dar.
Beispielsweise sind die späteren frühen Germanen von den Kelten im gleichen Raum auch nicht sprachlich oder genetisch oder kulturell klar unterscheidbar (diese Unterscheidung wurde erst durch die römische Eroberung produziert) sondern vor allem als Kultraum, als Religionsraum trennbar.
Das wir genetisch nicht von den Bandkeramikern abstammen heißt ebenso nicht dass diese als Volk und Kultur aus dem Nahen Osten eingewandert sind.
Meiner Meinung nach entstand die Bandkeramik in Europa authochton und es fehlt ja auch jeder archäologische Befund aus dem Nahen Osten oder südöstlich von Ungarn. Sie stellte die Kultur einer von zwei anthropologisch fassbaren Volksgruppen dar (die vermutlich beide Träger Indoeuropäischer Sprache waren) und ihre Träger verdrängten vorübergehend diejenigen welche sich der Bandkeramik nicht anschlossen (auch wenn es vermutlich ebenso volksübergreifende Kulturausbreitung gab).
Dann wurde die Bandkeramik durch die Trichterbecherkultur abgelöst deren Träger meiner These nach bereits definitiv Indoeuropäer waren. Da diese genetisch mit der früheren Bevölkerung identisch sind und ebenso wir heute größtenteils in Europa von diesen Menschen abstammen, ist es meine These, dass diese Völker schon immer Indoeuropäisch waren.
Eine interessante Frage in diesem Kontext ist, ob nicht die Ausbreitung der Bandkeramiker zu einer Verdrängung der anderen gerade eben nach Osten in den Steppengürtel geführt haben könnte. Meiner Meinung nach spricht viel dafür. Man untersucht immer nur Wanderungen von Ost nach West, aber nicht umgekehrt. Das müsste man überhaupt erst mal untersuchen.
These: die aus Europa durch die Bandkeramiker verdrängten Indogermanen wurden auch nach Osten in die Steppen abgedrängt und entwickelten sich dort technisch und kulturell schneller. Später wanderten Indoeuropäer aus diesem Raum dann in mehreren Wellen auch zurück nach Europa.