Zitat: Jetzt mal ganz ernsthaft: Stell dir vor, du wärst Palästinenser. Deine Okkupantanten bzw. deren Politiker erzählen seit 15 Jahren, dass sie Frieden wollen und dir auch einen eigenen Staat und Freiheit geben wollen. Und dann stell dir vor, was du siehst: Ein paar Städte kommen von Israels Gnaden mit extrem beschränkten Souveränitätsrechten an eine korrupte Palästinensische Autonomiebehörde, während die Israelis weiterhin überall ihre Oberhoheit und Präsenz einerseits zeigen, anderseits aber überall in deiner Nachbarschaft neue israelische Sieldungen entstehen oder alte expandieren und du mit etwas Pech daher auch noch dein Land verlierst.
Glaubst du allen ernstes, dass in so einer Situation nachhaltig Friede geschlossen werden kann.
Auf so eine Idee kommt man nur mit einer proisraelischen, Israel-zentrierten Sicht, die den Konflikt als ganzes und die andere Seite ausblendet in meinen Augen.
Das sind doch argumentative Perspektivenauswahlen. Genauso gut könnte man einseitig sagen, man solle sich die Situation vorstellen, man sei Israeli. Und: Es fällt auf, dass du i. d. Fall nur den Palästinenser und seine
arme Position darstellst und mit dieser eine Reaktion hervorrufen willst. Aber das ist eben nur ein Teil der Wahrheit, weshalb der Versuch wiederum selbst einseitig ist. Es werden sämtlich Hintergründe, Ursachen, etc. ausgeblendet. Vor deinem Bsp. scheint der
Schuldige klar und eindeutig – die Okkupanten, Korrupten, Besatzer. Aber so einfach ist es eben nicht. Du hast in Posts von früher schon öfter objektivere Ansichten dargestellt (wenngleich ich auch nicht immer deinen Standpunkt vertreten habe). Und wenn du schreibst, dass mein Standpunkt ein eher proisraelischer sei, so mag dies stimmen, aber die Gründe haben wir auch schon durchgesprochen. Nur am Rande ein paar Bsp.:
1.) Ich sehe die Siedlungspolitik auch skeptisch, aber man muss sagen, dass z. B. a) manche Siedlungen selbst nach israelischem Recht illegal sind und auch geräumt wurden (was starke innenpolitische Spannungen nach sich zog), b) die Siedlungspolitik erst in den letzten 25 Jahren massiv zugenommen hat, obwohl die Gebiete seit 1967 de facto in israelischer Hand sind, d. h. erst Mitte der 80er Jahre lief die Siedlungspolitik richtig an (hierzu: 1985 lebten z. B. im Westjordanland ca. 25.000 Siedler, heute sind es ca. 300.000); d. h. die immer wieder gefallene Äußerung, dass der Terror der radikalen Palästinenser auf die seit
30, 40 Jahren bestehende Siedlungspolitik zurückzuführen sei – hast jetzt nicht du gesagt, wurde so aber schon gesagt –, ist so nicht ganz richtig und trägt zu einem gewissen Misstrauen bei Erklärungsmodellen zur palästinensischen Lage bei. Und: Noch bevor Siedlungen entstanden, wurden Busse, Schulen und Supermärkte in Israel zerbombt und Zivilisten ermordet, teilweise sogar von linksextremen Terror-Gruppen außerhalb des Nahen Ostens (z. B. der Anschlag der japanischen Roten Armee auf den israelischen Flughafen Lod in Tel Aviv 1972). Insofern: Es gab schon brutalen Terror von palästinensischer Seite aus noch bevor irgendwelche Siedlungen gebaut wurden oder irgendwas besetzt wurde. Deswegen wage ich den Rückschluss anzuzweifeln, dass hier ein Sachverhalt erst den anderen ermöglicht hat.
2.) Häufig heißt es, dass der Terror der Palästinenser aus deren Hilflosigkeit resultiere, die die seit rund 40 Jahren mit sich bringende Besatzung mit sich gebracht habe. Ich sage es mal so: Die Besatzung hat dennoch eher relativ wenig damit zu tun, eher war es das politische Kalkül einiger arabischer Staaten in den letzten drei, vier Jahrzehnten und das Ergebnis einer grundlegenden Haltung sowie die tatsächliche Frustration und Perspektivlosigkeit von Teilen der jungen palästinensischen Bevölkerung, für welche aber – im gleichen Maß wie Israel – auch die palästinensische Verwaltung, die du berechtigterweise als korrupt dargestellt hast, und arabische Regime die Verantwortung tragen, die an einer Besserung kein Interesse haben. Nur heißt dies nicht, dass ich deshalb jeden Terror hinnehmen muss, bzw. im Falle eines Gegenschlages der IDF, auch wenn die Opferzahlen extrem unterschiedlich sind, sofort mit einer Verharmlosung des Raketenbeschusses anfangen und irgendwelchen NS-Zeit-Vergleichen daherkommen sollte (Ghetto, etc.).
3.) Terrorakte gegen Juden hat es auch vor 1967 schon zuhauf gegeben. Noch bevor irgendein jüdischer Staat existierte, gab es arabische Ausschreitungen an Juden, obwohl kein
Grund wie ein
Besatzungsregime bestand, dies in den 20er und 30er Jahren, und erst recht während des Gründungskrieges von 1948 (wobei ich teilweise jüdische Verbrechen, wie etwa der Stern-Gruppe/n, nicht wegreden will, dies als deutlicher Hinweis). Die Anlehnung von europäisch-deutschem und arabischem Antisemitismus war auch nicht das Resultat einer irgendwo währenden Besatzung von jüdischer Seite aus (hatte dazu ein interessantes Seminar an der Universität Stuttgart von Klaus-Michael Mallmann:
Halbmond und Hakenkreuz), sondern man hat die Chance gesehen, die Juden los zu werden (es liegen auch Dokumente vor, die belegen, dass man von arabischer Seite aus bei den Deutschen um die Erlaubnis suchte, die Juden Palästinas zu vernichten). Die Terrorakte beginnen also wesentlich früher, auch wenn mancher Hintergrund anders zu deuten ist, als irgendeine Siedlungspolitik, die heute herhalten muss als Erklärung für irgendwelche Verbrechen. Übrigens: Die Folgen des Gründungskrieges – wird auch gerne übersehen – waren nicht nur rund 700.000 arabische Flüchtlinge, sondern genauso viele jüdische. Dennoch hat Ben Gurion angeboten – obwohl der Staat auf wackeligen Füßen stand und von allen Seiten berannt wurde –, fast 200.000 Araber in den neuen Staat wieder aufzunehmen. Die arabische Seite lehnte allerdings ab, weil man dem Staat Israel sowieso keine Existenz auf lange Sicht zusprach und weil man davon ausging, dass man
die Juden eh bald ins Meer werfen kann. Diese Rechnung ging jedoch nicht auf. Heute ist es nun so, dass die meisten arabischen Staaten ihren Frieden mit Israel geschlossen haben, bis auf Syrien und Iran und einige radikale Gruppen (z. B. die Muslimbrüder), die den Konflikt noch am Köcheln halten wollen. Und denen sollte man weiß Gott nicht nachgeben. Oder um es anders zu formulieren: Ohne einen
Wandel in Damaskus und Teheran wird es keinen Frieden geben. Punkt...
4.) Es werden einfach die Verbrecher, die Radikalen unterschiedlich behandelt. Baruch Goldstein ist wohl der
repräsentativste israelische Massenmörder-Fall diesbezüglich. Er wurde von einigen unbelehrbaren Fanatikern in Israel hochgelobt, aber die Masse der Politiker und der Israelis hat seine Tat einhellig verurteilt, jegliche Art von
Andenken an ihn wird unterbunden (1999 zerstörte auch die IDF ein eigens von radikalen Siedlern für ihn errichtetes Denkmal). Bei den Arabern werden die Massenmörder, die 10, 20 junge Leute vor einem Supermarkt umbringen zu Freiheitskämpfern oder Helden deklariert und manche hier halten sogar den Raketenbeschuss für eine
verständliche Reaktion auf die israelische Politik. Wo lebe ich eigentlich?
5.) Ich habe meine Bedenken (auch hier bei uns im Forum!), wenn Leute unüberlegt vom Apartheidsstaat Israel faseln – wie auch jetzt derzeit wieder im Iran-Thread – und dabei übersehen (oder übersehen wollen), dass diese Rhetorik aus der Zeit des Kalten Krieges stammt. Und das sich gerade an dieser Apartheids-Formulierung vor der UN – die wiederum viele Einflüsse aus verqueren sowjetischen Positionen innehatte – in den 70er Jahren Staaten beteiligt haben, die man menschenrechtstechnisch nicht mal mit der Kneifzange anfassen kann (auch heute noch teils nicht sollte). Ich denke allerdings, dass sich an dieser Haltung leider nicht viel ändern wird – außer das man ihr massiv entgegentritt, notfalls mit allen Mitteln –, weil sich heute vor dem von mir schon kritisierten Menschenrechtsrat der UN gerade die gleichen Übeltäter und Brandstifter wieder als die großen Ankläger aufspielen dürfen.
Schneemann.