Erich schrieb:Erläutere doch bitte mal wie Du auf die fixe Idee kommst, dass es sich hier um einen Konflikt zwischen zwei souveränen Staaten handelt.
'Zwischenstaatlicher Konflikt' soll in diesem Zusammenhang hier lediglich darauf verweisen, dass es sich um keine innerstaatliche, bürgerkriegsgleiche Angelegenheit handelt.
Ganz korrekt ist das was in Gaza momentan passiert eine kriegerische Auseinandersetzung zwischen einem staatlichen und nichtstaatlichen Akteur, die teils auf einem Staatsgebiet und teilweise in einem umstrittenen Gebiet stattfindet.
Erich schrieb:Die Anwendung des Kriegsrechts setzt gemeinhin einen Konflikt zwischen zwei oder mehreren Staaten voraus. Nachdem Israel die Existenz eines palästinensischen Staates von Hause aus vehement ablehnt, können hier nur die Regularien des Polizeirechts greifen. Das gilt selbstverständlich zunächst für die von Israel besetzten Gebiete, und genauso auch für die Gebiete, deren Besetzung zwar nominell aufgegeben wurden, die aber seither noch keine eigene Staatlichkeit erlangt haben und unter weitgehender Kontrolle (z. B. der Grenzen) des "ehemaligen" Besatzerstaates sind, also explizit gerade auch für den Gaza-Streifen.
Und im Polizeirecht gilt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, d.h., es dürfen nur die Maßnahmen durchgeführt werden, [...]
Uhoh. Leider ein kompletter Schlag ins Wasser. Aber so richtig.
Kriegsvölkerrecht gilt mitnichten nur zwischen Staaten. Es gibt da eine ganze Reihe von Abstufungen. Rein formal ist es richtig, dass Normen existieren die nur zwischen Staaten bzw. nur zuwischen Unterzeichnerstaaten gelten sollen.
Genauso aber gibt es Normen die Konfliktparteien einseitig verpflichten. Es gibt weiterhin auch Normen, die sich auf den Konflikt zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren beziehen.
In der Rechtspraxis ist das aber (mittlerweile) sowieso weitgehend irrelevant.
Über das Völkergewohnheitsrecht als Rechtsquelle weitet man grundsätzlich alle völkerrechtlichen Regeln zu Kriegsführung auf alle militärischen Konflikte aus, unabhängig davon wer da teilnimmt.
Es interessiert also nicht ob staatlich oder nichtstaatlich, wer militärisch agiert muss sich an das Kriegsvölkerrecht halten.
Das ist der erste Punkt an dem du falsch liegst. Der zweite ist die Annahme, dass wenn Kriegsvölkerrecht nicht gilt plötzlich das Polizeirecht gilt. Diesen rechtlichen Automatismus gibt es nicht. Wir bewegen uns da i ganz unterschiedlichen Rechtsgebieten.
Wenn du argumentieren willst, dass einzelne oder alle Normen des internationalen Rechts nicht gelten fallen wir nicht automatisch in öffentlichen Teil des nationalen Rechts.
Wir fallen im rechtlichen Umgang dann in einen Rechtsfreien Raum in dem schlicht gar keine Regeln existieren.
Darauf folgend wäre aber die Annahme, die Abwesenheit von Regeln würde auch ein Handlungsverbot implizieren (a la 'was nicht geregelt ist darf nicht gemacht werden') falsch. Hier sind wir wieder bei der Souveränität des Staates. Das Recht Gewalt einzusetzen wird nicht verliehen. Es ist Gottgegeben. Beziehungsweise um es postmodern zu formulieren, es ist naturgegeben so.
Kriegsvölkerrecht, Völkerrecht im allgemeinen kann hier nur Rahmenbedingungen dazu formulieren. Es kann dieses Recht (besser diesen Zustand, Gewalt kann Gewalt ausüben) nicht entziehen. Deswegen auch etwa Art. 51 der UN Charta.
Fallen jetzt deiner Meinung entsprechend manche oder gleich alle diese Regeln raus bleibt dieses naturgegebene Recht des Staates Gewalt nach seinem Gusto anzuwenden. Gilt kein Kriegsvölkerrecht mehr gilt Garnichts mehr und der Staat kann tun und lassen was er will.
Machen wir weiter. Nächster Fehler, wieso sollte ausgerechnet Polizeirecht gelten? Polizeirecht ist lediglich ein Teil des nationalen Rechts eines Staates. Warum kann nicht irgendein anderes Recht gelten, zum Beispiel ein nationales Militärrecht? Ein Kriegsrecht? Ein Antiterrorrecht? Oder um es Deutsch zu formulieren, Gesetz über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte in den Palästinensergebieten?
Wie gesagt, ich argumentiere das wir rechtlich schon gar nie in diesen nationalen Teil des Rechts reinkommen, aber wenn dann kann der Staat sich ein Recht zusammenbasteln wie er das möchte.
Es gibt absolut gar keinen Automatismus, der das Ganze auf das Polizeirecht reduzieren würde.
Ein staatlicher Akteur hätte da jederzeit die Möglichkeit sich ein Lex Gaza zu schreiben und das so auszuschmücken wie er das für sinnvoll hält. Mit oder ohne Ausgewogenheit beim Einsatz militärischer Mittel im Bezug auf die Aktionen des Gegners.
Nächster Punkt: Wie kommst du eigentlich drauf, dass es im Polizeirecht immer einen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gibt? Ich mein, keine Frage, im deutschen Polizeirecht von Bund und Land gibt es den freilich [am Rande dazu, die Vorschriften in so manchen Polizeiaufgabengesetz zum Umgang mit bewaffneten Aufständischen sind schon sehr robust] aber das ist doch kein Grundsatz!
Ich habe absolut keine Ahnung ob das nationale israelische Polizeirecht überhaupt das Verhältnismäßigkeitskonstrukt so kennt oder ob man da andere Rechtsbausteine nutzt. Ich weiß auch nicht wirklich genau, welche Antiterrorrechte die da haben und ab welchen Punkt die IDF dann Amtshilfe leistet. Bezweifle auch, dass das so direkt geregelt ist wie in Deutschen Landen...
Wie dem auch sei, springender Punkt auch hier existiert kein Automatismus zwischen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und Polizeirecht.
Aber apropos Verhältnismäßigkeitsgrundsatz; dass ist ja der größte Irrtum bei deiner Argumentation.
Wie du schon anreißt beinhaltet der (deutsche) Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, dass eine Aktion geeignet, erforderlich und angemessen sein muss.
Leider bleibst du da stehen und lässt völlig die Subsumtion vermissen. Schade eigentlich, vielleicht wäre dir nämlich aufgefallen, dass es hier überhaupt nicht um den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gehen kann.
Ausgangsthese: Aktion und Reaktion müssen verhältnismäßig sein, es muss ein ‚veritables Gleichgewicht‘ zwischen Raketen und JDAMs herrschen. Beziehungsweise ehrlich formuliert auf Deutsch: Es müssen halt so viele Juden umkommen wie Palis damit das passt. Wenn umkommen ist das unfair und iwi verbrecherisch.
Gut und schön – oder halt auch nicht.
Passt darauf der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz? Nein eben nicht!
Denn: Eine Maßnahme ist verhältnismäßig, wenn sie geeignet, erforderlich und angemessen sind die jeweilige Gefahr zu beseitigen.
Steht da was von eine Maßnahme muss gleichwertig zur Gefahr sein? Nein, kein Wort davon. Steht da was von Gleichgewicht, Ausgeglichenheit, Gleichmaß, Fairness? Nein, null.
Insofern, wieder die Frage, auf welcher rechtlichen Basis forderst du Gleichheit von Aktion und Reaktion? Warum darf Israel nur soviel tun wie die Hamas tun kann?
Es hat null mit Verhältnismäßigkeit zu tun. Verhältnismäßigkeit geht es überhaupt nicht um Gleichheit und Ausgewogenheit von Aktion und Reaktion. Verhältnismäßigkeit ist ein Rechtsprinzip das uns ermöglicht zu bestimmen, ob denkbare Maßnahmen zur etwa der Gefahrenabwehr legitim sind.
Ausgeglichenheit? Hat damit null zu tun.
Ein Beispiel: Ein einzelner mit einer P80 bewaffneter Bankräuber bedroht das Leben von Geisel direkt und unmittelbar. Bedeutet der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, dass die Polizei dieser Störung der Öffentlichen Sicherheit nur ebenfalls mit einem einzelnen Beamten mit einer einzelnen P7 begegnen darf? Und wenn der Bankräuber einen Schuss auf die Geiseln abgibt, der Beamte das ebenfalls mit nur einem Schuss erwiedern darf?
Natürlich nicht! Da rückt selbstredend das ganz große Orchester an und das SEK wird diesen Herren nach allen Regeln der Kunst mit völlig überlegener Mannstärke und Feuerkraft über den Haufen schießen.
Was dann nach Lage natürlich wunderbar verhältnismäßig ist.
Denn der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verlangt nicht Ausgeglichenheit. Er verlangt einen legitimen Zeck (unstrittig, Einstellung des Raketenterrors) und eine Maßnahme, die geeignet erforderlich und angemessen sein muss.
Mehr nicht. Schauen wir uns das auch mal an, auch wenn es mit der Ausgansfrage nichts zu tun hat. Ist der israelische Einsatz in Gaza (politisch betrachtet) Verhältnismäßig?
Sind militärische Aktionen geeignet den Raketenbeschuss aus Gaza zu unterbinden?
Selbstverständlich sind sie das, mindestens durch einen Waffenstillstand mit anschließender langer Feuerpause wie Defensive Shield, Cast Lead und Pillar of Defense bewiesen haben. Und natürlich könnte man mit der militärischen Aktion noch viel weiter gehen um die Hamas komplett zu zerschlagen.
Kausalität vorhanden, Förderlichkeit erst recht. Absolut kein Problem.
Sind die militärischen Aktionen der Israelis erforderlich? Eine politische Frage, aber natürlich ganz klar, ja. Es existiert kein milderes Mittel um den Raketenterror zu stoppen als militärische Aktion. Die ganze Geschichte der Eskalationsschraube kann man hierunter subsumieren, sowie die Tatsache, dass die Hamas selbst heute noch jeden Waffenstillstand abgelehnt. Es gibt also keine andere Möglichkeit als den Krieg.
Man kann es auch so formulieren: Der Raketenterror ist eine extreme Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung die unmittelbares Handeln erforderlich macht, völlig unabhängig von der Frage was den Angriff genau auslöste. Störungen der Öffentlichen Sicherheit sind nie hinnehmbar und müssen von den Sicherheitsbehörden immer unterbunden werden.
Sind die militärischen Aktionen angemessen?
Natürlich, die Nachteile die damit verbunden sind stehen nicht völlig außer Verhältnis zu den Vorteilen den die Maßnahme bewirkt. Heißt, natürlich treibt die militärische Aktion den Konflikt weiter und natürlich entstehen Schäden bei unbeteiligten Dritten. Demgegenüber stehen aber Millionen von Menschen auf beiden Seiten des Konflikts, die schon unter der Maßnahmenauslösenden Störung extrem leiden. Die Alternative wäre nur garnichts zu tun und den Raketenterror hinzunehmen. Das kann, das darf der Staat garnicht, rechtlich gesehen würde sich die Regierung Netanyahu damit sogar strafbar machen.
Kurz: Die Maßnahme ist Verhältnismäßig.
Auf der Ebene um die es hier geht ist es aber sowieso eine sicherheitspolitische Abwägung, Diese zu treffen liegt im Verantwortungsbereich der politischen und militärischen Führung der Konfliktparteien. Und nicht bei dir und mir. Sprich wenn die Herren das für Verhältnismäßig halten gibt es praktisch keine Institution die das anders sehen und unterbinden könnte.
Anders als bei Sicherheitsbehörden wo es relativ schnell ein Gericht gibt und sogar solche Sachen wie Richtervorbehalt gibt es das bei souveränen Staaten praktisch nicht. Aber das würde hier zu weit führen.
Kurz auf den Punkt gebracht: Dein Vorwurf (mangelnde Ausgeglichenheit) hat nichts mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu tun, wobei hier weder das Kriegsvölkerrecht nicht gilt noch Polizeirecht dann einschlägig wäre.
Ach ja Übrigens, spannende rechtliche Frage, ergibt sich aus dem Kriegsvölkerrecht ein allgemeines Verhältnismäßigkeitsgebot bezogen auf ganze militärische Einsätze? Antwort: Nein, das gibt es lediglich bezogen auf einzelne militärische Aktionen (sprich Bombe auf Haus X ok?). Eine militärische Kampagne muss bezogen aufs kriegsvölkerrecht nie irgendwie verhältnismäßig zum Casus Belli sein oder irgendsoeinen Wahnfug.
Ich wiederhole die Frage: Warum muss ein Gleichgewicht zwischen Aktion und Reaktion geben?