Nightwatch:
Zitat:Schön, dass G36 schießt irgendwelchen Testreihen irgendwelcher Institute zu Folge im erhitzten Zustand nicht mehr präzise. Ja und? Das Ding ist ein Sturmgewehr und kein Ersatz MG.
Das Problem des G36 ist genau genommen nicht die Präzision (also das Aufgehen des Streukreises) sondern der Abfall der Flugbahn des Geschosses im Vergleich zur Visierlinie, der im Neudeutsch sogenannte Drop.
Beim G36 macht der Drop bereits nach 3 bis 4 Magazinen mehr als 1 m aus. Bei einigen Tests die schon vor Jahren gemacht wurden, lag er nach 4 Magazinen bereits bei 120cm auf 100 m. Das heißt du triffst ein Mannziel nach 4 Magazinen bereits auf 100 m nicht mehr. Und das betraf damals bereits mehr als die Hälfe der getesteten Waffen.
Dieses Problem tritt aber nicht bei allen Waffen gleichermaßen auf. Das spricht für eine Materialermüdung des Kunststoff bei mehrmaliger starker Erhitzung.
Das heißt wir schreiben hier keineswegs über eine Verwendung wie ein MG, sondern im Gegenteil über ein fundamentales Problem. Ein MG trifft ja gerade eben deshalb, weil es streut und dadurch wie eine Schrotflinte eine Fläche bestreicht in der sich dann das Ziel befindet. Gerade auf größere Distanzen trifft der Feuerstoß eines MG exakt deshalb, wegen der im Vergleich zu einem Maschinenkarabiner bzw Einzelschuss größeren Streuung!
Geht also bei einem Sturmgewehr der Streukreis etwas auf, macht das eigentlich gar nichts, im Gegenteil. Gerade bei Verwendung von Dauerfeuer kann man durch die Nutzung des Streukreis und einer größeren Zahl Geschosse in einem Feuerstoß eher einen Treffer erzielen, insbesondere in Bezug auf sich bewegende Ziele. Mit einem G36 das also einfach bei Erhitzung mehr streut könnte man trotzdem problemlos mit Feuerstößen einen Treffer erzielen.
Das Problem aber ist der Drop, also das Absinken. Das heißt, dass die Fläche in welche die Kugeln gehen nicht dort ist, wo das Ziel ist.
Zitat:Eine Beschaffung aufgrund angeblich mangelhafter Leistungen in einem praxisfernen Grenzbereich anzustoßen das andere.
Wir sprechen hier gerade eben nicht von einem praxisfernen Grenzbereich, wenn das Absinken der Geschossflugbahn nach 3 Magazinen bereits dazu führt, dass man auf 200 m kein Mannziel mehr trifft und nach 4 Magazinen bereits auf 100 m daneben schießt. Das darf so in keinem Fall sein, auch nicht im Fall eines Kampfes an der Weichsel.
Zitat:Man muss sich btw auch vergegenwärtigen, dass diese ganze Problematik eben nicht aus der Truppe kam sondern aus irgendeiner Prüfstelle.
Das ist so nicht richtig. Der erste Anstoß kam durchaus aus der Truppe.
Zitat:da sich das Problem im Feld effektiv nicht stellt kann es so furchtbar relevant nicht sein. Erst recht nicht, da man das Problem nicht mal bei Praxistests in Afghanistan reproduzieren konnte.
Die Frage ist erneut, ob irgendwelche Kolonialscharmützel in Afghanistan überhaupt aussagekräftig sind. Zu den sogenannten Praxistests und deren uneinheitlichen Ergebnissen: es gab sehr wohl solche Tests wo die genannte Problematik aufgetreten ist.
Zitat:Würde man hier ansetzen und die Ausbildungskriterien überarbeiten und insgesamt einfach mehr mit den Dingen üben, könnte man zigmal mehr erreichen als durch die Behebung irgendwelcher Probleme in Grenzbereichen.
Wie gesagt ist das kein Grenzbereich. Die zwingenden Taktischen Anforderungen in der Praxis ergeben das nun mal so. Man sollte daher die Waffe diesen praktischen Anforderungen anpassen und nicht umgekehrt die Schießweise der Waffe, was zweifelsohne taktisch falsch wäre.
Zitat:Das G36 ist grundsätzlich ein gutes Gewehr mit dem selbst ein Neuling rasch brauchbare Ergebnisse erzielen kann.
Im Vergleich zum G3 ja. Aber im Vergleich zu dem was heute von der Stange einkaufbar wäre stimmt das so nicht mehr.
Zitat:Ich sehe da eher eine Überhöhung des Bedürfnisses den Gegner niederzuhalten. Es kann doch nicht sein blindwütig tausende Schuss ins Gelände zu setzen nur damit sich der Feind nicht bewegt.
Ein praktisches Problem ist, dass das Niederhalten nicht richtig geübt wird und dass der Stress im echten Gefecht die wenige Übung die Soldaten damit haben dann auch noch zunichte macht. Richtiges Niederhalten bedeutet keineswegs blindwütiges Schießen sondern dass systematische und sehr gezielte Beschießen von Geländeteilen.
Zitat:„Hochdynamisiert“ ist da doch nur eine vornehme Umschreibung von „irgendwo wird der Feind schon sitzen, schießen wir mal damit wir uns besser fühlen“.
Zweifelsohne ist dieses Beruhigungsschießen ein reales praktisches Problem. Das hat aber nichts mit Niederhalten zu tun, sondern Soldaten schießen selbst dann ganze Magazine ins nirgendwo wenn sie eigentlich wissen dass sie nicht selbst beschossen werden und de facto im Moment gar nicht am Gefecht teilnehmen. Dazu tritt das sogenannte Symphatieschießen - dass also alle losballern ohne Sinn und Verstand weil einer irgendwo hin schießt obwohl die anderen hier gar kein Ziel haben.
Zitat:Unabhängig von irgendwelchen heißgeschossenen Waffen, die Munition dafür führt die Infanteriegruppe und erst recht nicht der einzelne Soldat nicht mit.
Selbst in der früheren Konzeption der Wehrpflichtarmee der 90er hatte jeder Soldat mindestens 5 Magazine dabei, was zumindest 150 Schuß ausmachte. Und bereits ab 3 Magazinen hat man hier ein reales praktisches Problem. Heute aber führt man eher 11 Magazine mit.
Und das ist auch notwendig. Meiner Meinung nach sollte jeder Soldat so viel Munition wie nur möglich mitführen.
Zitat:Es wäre ein Fehler die Not noch weiter zu potentieren indem man jedem Soldaten eine noch größere Spucktröte in die Hand drückt.
Dassselbe Argument hat man schon immer gegen Kaliberverkleinerung, Dauerfeuer und mehr Mun pro Mann geführt. Die Not tritt aber gerade eben dadurch auf, dass die Soldaten keine Spucktröte haben, aber dringend eine bräuchten.
Zitat:Ich würde in die genau entgegengesetzte Richtung gehen. Das Schützenfeuer muss (wieder) überlegter und präziser werden, va in Einsatzszenarien mit großer Kampfentfernung wie Afghanistan.
Das ewige Mantra vom gezielten Einzelschuss ist in der BW mehr als in jeder anderen Armee zum Fetisch geworden und geht völlig an der Einsatzrealität, an der praktischen Realität eines Schießens im Gefecht vorbei.
Hier bewegen sich Ziele von Deckung zu Deckung. Das Zeitfenster für die Bekämpfung ist kurz. Selbst wenn man aus nicht aufgeklärter Stellung auf sich nur langsam bewegende (gehende) Feinde in einem Feuerüberfall schießt ist das in der praktischen Realität außerhalb des Schießstandes immens schwierig wenn man Einzelschüsse verwendet.
Und wenn die Kampfentfernung größer wird, gilt dies noch um so mehr. Es wird heute einfach von Grund auf nicht mehr verstanden, dass gerade auf größere Distanzen mit gezielten Feuerstößen eher getroffen werden kann als mit Einzelschüssen. Durch den Feuerstoß entsteht hier eine gewisse Streuung und dadurch wird eine bestrichene Fläche erzeugt. Da man so anstelle eines Einzelpunktes mit einer Fläche agiert, erhöht sich so die Trefferwahrscheinlichkeit erheblich.
Das Schützenfeuer muss überlegter werden, keine Frage. Das heißt aber gerade eben nicht, dass man auf aufgeklärte Feinde Einzelfeuer schießen sollte, im Gegenteil. Und gerade das Niederhalten sollte man mittels gezieltem Einzelfeuers durchführen. Man verbindet heute eben immer fälschlicherweise Niederhalten mit Dauerfeuer bzw das Bekämpfen des Gegners mit dem sogenannten gezielten Einzelfeuer. Das ergab sich so aus der taktischen Doktrin der NATO im Kalten Krieg und diese aus dem 7,62mmNATO Kaliber und den dazugehörigen Waffen welche die Feuerkraft der Gruppe im MMG konzentrierten und die "Sturmgewehr"schützen zu bloßen Hilfsmuckeln desselben reduzierten.
Genau davon müssen wir heute weg.