(28.10.2022, 23:22)Quintus Fabius schrieb: [ -> ]Dass es im Iran seit geraumer Zeit ein Problem mit sunnitischen Extremisten gibt ist mir schon auch klar und bekannt, aber ein derartiger Anschlag des IS auf Pilger an einem heiligen Ort ist da meiner Meinung nach schon ein neues Geschehen.
Der IS hatte 2017 u.a. in Teheran das Mausoleum von Khomeini sowie das iranische Parlament angegriffen und 2018 eine Militärparade in Ahwaz.
Was Frau Baerbock, militante Separatisten aus Kurdistan und Belutschistan über Medien bzw. über Tweets verbreiten ist mal das Eine (Psy-Ops), aber entscheidender ist die reale Situation am Boden. Die Regierung war zu keinem Zeitpunkt in Gefahr. Dieses koordinierte Vorgehen durchaus gut bekannter Feinde Irans, war so in der Form zwar neu, ist in der regional- und geopolitischen Gemengelage zunehmend koalierender und geheimdienstlich kooperierender Feinde aber keinesfalls überraschend.
Die organisierte, bewaffnete Eskalation im Iran und die mediale Aufbereitung waren extrem gut koordiniert, auf mehrere Urheber, Regionen und Schultern verteilt und durch ein Medienfeuerwerk flankiert. Exakt diametral zur öffentlichen Wahrnehmung und Darstellung hierzulande, halte ich die Gegenspieler nicht zuletzt gerade wegen ihrem subjektiv empfundenen konventionell-militärischen Unterlegenheitsgefühl für zunehmend motiviert Proxies zu aktivieren, die durchaus bewiesen haben, dass sie ganze Länder ins Chaos stürzen können. Mit dem Abzug der Amerikaner und Briten der letzten Jahre, hat sich die Gefährdungslage und das Vorgehen damit verschoben. Und bereits seit Monaten warnt die IRGC vor exakt diesem Szenario sowie einem Strategiewechsel auf der Gegenseite. Es ist ja auch nicht so als würde lediglich der Iran über regionale "Proxies" verfügen und der anderen Seite wären die Hände gebunden.
Verhindern lassen sich Terroranschläge, Sabotage, Cyberattacken, Waffenschmuggel, Propaganda und die Unterwanderung eigener Kräfte usw. niemals vollumfänglich. Solange militante Oppositionsgruppen existieren, solange Israel existiert, solange die Öl-Araber über ihre Verhältnisse leben können, solange die USA/UK/EU mit diesen koalieren und Terroristen Unterschlupf und Support gewähren und auf geheimdienstlicher und medialer Ebene diese Kräfte gegen den Iran koordiniert einsetzen, solange wird es auch immer zu Vorfällen kommen. Das liegt in der Natur der Sache, in der Natur des asymmetrischen Krieges.
Auf der iranischen Seite wurden mal wieder, vor allem auf der unteren Befehlsebene und durch die ausführenden Akteure, eklatante Fehler begangen. Auch das jüngste IS Attentat ist so ein Fall. Die gut ausgebildeten Sondereinsatzkräfte der Polizei haben zwar zügig reagiert und den Attentäter schnell gefasst, aber Vorort war die Sicherheit bereits unzureichend, Man hätte dieses Attentat im Ansatz verhindern bzw. Vorort schon schneller beenden können. Das hätte sicher Menschenleben gerettet.
In Zahedan wurden ebenfalls eklatante Fehler begangen, was zu dutzenden Toten führte. Als belutschische Terroristen mit Handfeuerwaffen auf die Polizeistation geschossen haben, hätte man sich auch zunächst verbarrikadieren und mit Tränengas den Mob von den stärker motivierten, bewaffneten Angreifern trennen können. Stattdessen haben die Polizisten in Panik aus ihrer festungsähnlichen Polizeistation wahllos in Richtung Straße geballert. weil sie überfordert waren und wahrscheinlich Angst vor einer Erstürmung hatten. Der Polizeichef durfte dafür zwar inzwischen den Hut nehmen, aber die unprofessionellen Akteure waren jene auf der unteren Ebene. Das muss man alles aufarbeiten, um solche Fehler zukünftig zu verhindern.
Andere Dinge, wie die sehr gezielte Militäroperation im irakischen Grenzgebiet sowie der zügige Enthauptungsschlag gegen den Rigi-Clan sind wiederum sehr zügig umgesetzt worden.
Auch wenn ich mangels Nachhaltigkeit wenig von einer direkten militärischen Antwort gegen irgendein ISIS Nest halte, bei dem im schlechtesten Fall auch nur wieder unbeteiligte Zivilisten sterben, so hatte sich der Iran 2017 für eine militärische Vergeltung 11 Tage eingeräumt. Jetzt sind gerade 3 Tage rum. Ich behaupte, die tatsächliche Antwort erfolgte damals auch erst am 14.09.2019 und dazu hatte sich der Iran nicht mal bekannt, auch wenn jeder weiß, dass kein anderer dazu in der Lage gewesen wäre. Dazwischen war ja auch 2018 der Anschlag auf die Militärparade in Ahwaz und verschiedene andere Entwicklungen im geopolitischen Kontext, die durchaus indirekt zusammenhängen. Daher ist es schwer eine Reaktionszeit abzulesen. Je nachdem wie komplex die Operation wird, braucht es einfach seine Zeit. Aber straflos wird der Iran seine Gegner nicht davon kommen lassen. Rein spieltheoretisch begründet, halte ich einen Raketenangriff auf irgendein ein ISIS Nest (z.B. bei Al-Tanf) und mit Verzögerung einen umfangreicheren Angriff auf die Energieinfrastruktur am Persischen Golf, zu dem sich die Houthi wieder bekennen werden, für ein wahrscheinliches Szenario. Dies wird dann aufgrund der höheren Wirkung vermutlich noch in diesem Winter geschehen.