Zitat:obwohl selbst die kombinierten Kompetenzen nicht viel sind verglichen mit dem obersten Rechtsgelehrten, dem Oberhaupt des Justizsystems oder dem Wächterrat. Zumindest auf dem Papier hat der Staatspräsident nicht viel zu melden.
Die "Kompetenzen" des Obersten Rechtsgelehrten, des Obersten Richters und des Staatspräsidenten sind nicht vergleichbar, da diese gänzlich unterschiedliche Aufgaben/Kompetenzen haben. Der Staatspräsident leitet mit seinem Kabinett das politische Tagesgeschäft des Landes. Das Parlament ebenso. In diesem Bereich hat der Revolutionsführer oder der Oberste Richter keine "Kompetenz". Ich nehme mal an, Du meinst auch gar nicht "Kompetenz" sondern schlicht und ergreifend "Macht".
Der Oberste Rechtsgelehrte ist nicht nur formal Staatsoberhaupt mit all seinen Machtbefugnissen im Rahmen der Verfassung sondern hat erst Recht real eine weitaus größere Macht als der für nur 4 Jahre gewählte Präsident, der im Rahmen von 5 Jahresplänen im Disput mit dem Parlament agiert. Die Oberste Rechtsgelehrte erscheint dagegen unantastbar. Aus diesem Grund ist gerade der Expertenrat (von dem sprachen wir ja ursprünglich) in seiner verfassungsgemäßen Funktion auch so bedeutsam.
Der Expertenrat ernennt/überwacht/setzt ab den Obersten Rechtsgelehrten. Der Expertenrat wiederum wird durch das vom Volk gewählte Parlament bestimmt. Das ist eine in der Verfassung festgeschriebene, sehr bedeutsame indirekt demokratische Instanz. Die ausgehebelt wird, wenn man ihre Entscheidungen ignoriert. Und das ist 1989 geschehen, hat diesen nachhaltig geschädigt und das ist das was ich meinte.
Das direkt gewählte Parlament überwacht darüber hinaus auch die Amtshandlungen des direkt gewählten Staatspräsidenten, was Ahmadinejad sehr leidlich erfahren darf, wenn man das politische Tagesgeschäft im Iran ein wenig verfolgt.
Die Beschlüsse des Parlaments wiederum werden vom Sagen umwobenen Wächterrat, in dieser Funktion ähnlich wie im deutschen Bundesrat, überwacht. Der Wächterrat setzt sich aus 6 gewählten Parlamentariern und 6 formal vom Obersten Richter (de facto vom Revolutionsführer) ernannten islamischen Rechtsgelehrten zusammen. Entgegen Deiner Behauptung, ist das Stimmengewicht aller Mitglieder des Wächterrats einheitlich gleich. Das ermöglicht aber in jedem Fall ein vom Klerus verusachtes Patt, was in der Folge den Schlichtungsrat auf den Plan ruft. Das eigentliche Problem am Wächterrat ist, dass der Oberste Richter (der lange Arm von Khamenei) die 6 Kandidaten des Parlaments ebenfalls vorfiltert. Das ist falsch. Das kann das Parlament in meinen Augen alleine.
Die Ernennung von 6 der 12 Mitglieder des Wächterrats durch den Obersten Richter ist weiterhin eine formale Funktion, die er ausübt. Nicht Teil seines Tagesgeschäfts. Die Wahl trifft ja eigentlich nicht er, sondern Khamenei, was auch korrekt wäre, sofern dieser denn durch den Expertenrat kontrollierbar bliebe. Bedeutsame Machtinstanzen sind auch der Schlichtungsrat und vor allem der Nationale Sicherheitsrat. Dort sitzt die Machtelite. Der enge Führungszirkel. Personen, die dort sitzen (zum Beispiel der Präsident, der Innenminister, Militärs, Geheimdienstchef, Wirtschaftsminister...), haben in ihrer Amtszeit dort sehr viel Macht.
Weitere Ebenen der Macht ergeben sich in der Wirtschaft. Dort sind die Unternehmen und Stiftungen der Pasdaran so mächtig, dass sie gegen geltende Gesetze verstoßen können. Gerade auf der Gemeindeebene, die in diesen Diskussion meist ausgeblendet wird, macht sich das erstmal so richtig bemerkbar. Dort werden unter der Hand Bauaufträge vergeben, dort wird das Wirtschaftsgefüge ganzer Landstriche von der Landwirtschaft bis zum Endprodukt, Supermarkt, Freizeit und Polizeigewalt von im Endeffekt der selben Instanz dominiert. In den großen Städten haben auch die traditionell konservativen Bazaris im Iran seit jeher eine nicht zu verachtende Machtfunktion.
Die Machtzentren im Iran sind vieldimensional und nicht so leicht einsichtig. Mit leichtfertigen Analysen tue ich mir daher generell recht schwer. Das zeugt eher von mangelndem Verständnis des sehr komplexen Machtgefüges innerhalb des Systems. Wäre es so einfach und wenig dimensional, wäre das System längst zerfallen oder von außen unterwandert worden. Versuche gab es ausreichend. Funktionale Ansätze gab es nicht.
Zitat:Die traditionelle Sichtweise des Schiitischen Klerus ist der Quietismus, wonach es einen strenge Trennung von Glauben und Staat zu geben hat. Diese Ansicht vertrat auch der letzte schiitische Marja-e taqlid; also der letzte Rechtsgelehrte, der absolute Deutungshoheit - auch gegenüber einem Großajatollah - in Sachen islamischen Rechts hatte.
Nein. Es ist so, dass nach diesem Verständnis eine weltliche Regierung
niemals (egal in welcher Staatsform) eine langfristig gültige, rechtmäßige Regierung darstellen kann. Sie kann nach dem dortigen Verständnis stets nur nur eine Art Übergangsregierung, eine Vertretung, sein bis der 12. Imam erscheint. Das sag nicht ich, sondern das ist die beschriebene Philosophie dieser dortigen Auslegung des schiitischen Islam. Diese Sichtweise besagt, dass sofern eine weltliche Regierung ihren Rückhalt beim Volk verliert oder aber gegen die Gesetze von Gott verstößt, hat sie ihre Vertretungsberechtigung verwirkt. Diese dort vertretene Philosophie lässt sich nicht als "traditionelle Trennung von Staat und Religion", als Säkularismus, auslegen. Im Gegenteil. Das legitime regieren an sich, ist nach dieser Philosophie an das Befolgen religiöser Ethik und Gesetze fest gebunden.
In der Verfassung der IRI lässt das Konzept gut am Beispiel des Wächterrat verfolgen. Dieser macht ja formal diese Übereinkunft von religiösem Rechtsverständnis und weltlichen Gesetzten mit seinen jeweils 6 weltlichen und religiösen Vertretern geradezu plakativ.