(18.05.2021, 22:00)Quintus Fabius schrieb: [ -> ]Das MGCS System sollte keineswegs NATO Standard sein, sondern allein europäischer Standard. Und im Idealfall sollte es nicht überallhin exportiert werden, aber bestimmte Exporte sind durchaus denkbar und sinnvoll. Nehmen wir mal rein theoretisch Indien als Ziel für einen solche Export, worin sollte das Problem bestehen? Das gleiche gilt für viele Länder in Südamerika und andere solche Fälle.
Die Frage der potenziellen Export-Empfänger ist eine wesentliche für dieses Thema hier.
Ich sehe ja im Kern nur Gesellschaften europäisch-geprägter Identität als echte Bündnispartner, kann mir aber durchaus auch Exporte in Länder vorstellen, die unsere Werte teilen. Das geht aber nur dann, wenn eine Änderung dieser Wertevorstellungen nahezu ausgeschlossen werden kann. Bestes NATO-Beispiel: Türkei.
Als potenzielle Abnehmer europäischer Waffensysteme fallen für mich z.B. sämtliche Nationen aus, deren Gesellschaften nicht als unumstößlich säkular zu betrachten sind. Das betrifft
leider alle islamisch dominierten Länder, seien sie auch noch so lange gute Partner gewesen.
Ebenso betrifft es Länder mit großer Armut unter der Bevölkerung, da auch das Instabilität fördert.
Bei Südamerika würde ich dir eigentlich auf den ersten Blick folgen wollen. Allerdings ist dieser Kontinent vor allem für Revolutionen, Armut und organisiertes Verbrechen bekannt. Daraus entsteht ein großes Risiko, dass sich Machtverhältnisse plötzlich verschieben. Davon würde ich in diesem Fall zwar keine direkte Bedrohung unserer Sicherheitsinteressen ableiten, sehe aber eine zu große Gefahr, dass schützenswerte Technologie weitergereicht werden könnte.
Indien ist ein interessanter Kandidat. Durch die stete chinesisch-pakistanische Bedrohungslage würde ich ausschließen, dass wir uns allzu bald auf gegnerischen Seiten wiederfinden würden. Höchstens der technologische Austausch mit Russland könnte Probleme verursachen. Da bin ich noch etwas unentschlossen.
Als weitestgehend unproblematisch würde ich lediglich die Tiger-Staaten betrachten. Die haben zwar eigene Rüstungsindustrien, wären aber gerade deswegen auch als Kooperationspartner durchaus interessant.
(18.05.2021, 22:02)Quintus Fabius schrieb: [ -> ]Diese politische Option wird nie ohne einen bereits dafür vorbereiteten Baugrund kommen und daher sehe ich diese Projekte als wesentlich dafür an, diese Entwicklung vorzubereiten. Wir beginnen also schon mal damit uns einheitlich auszustatten noch bevor die EU Armee steht, und diese bildet sich dann auch aus dieser gemeinsamen Ausstattung heraus leichter.
Das mag sich aus der Sicht des militärisch Interessierten und Informierten so darstellen, aber diese Entwicklung muss leider aus der Politik kommen. Und denen reicht es schon, wenn alle Ausrüstung nach STANAG haben. Zumal eine entsprechende Umstrukturierung eh einen langen Prozess erfordern würde, in dem es kein Problem sein sollte, die nötige Harmonisierung der Ausstattung einfach durch Neubeschaffungen zu regeln. Die politische Einigung wird aus ganz anderen Gründen so schwierig werden, dass die vorhanden Ausrüstung keine nennenswerte Rolle spielen wird.
Ich finde, unsere Diskussion zum MGCS zeigt es doch mal wieder gut: Frankreich und Deutschland sind Gegenpole was die äußere Sicherheit und auch die Rüstung angeht. Das wird man nur in den Griff bekommen, wenn man die Außen-(und idealerweise auch Industrie-)Politik "gleichgeschaltet" bekommt. Nur so wird man sinnvoll gemeinsam beschaffen können, weil man die gleichen Schwerpunkte setzen kann. Und dann steht auch gemeinsamen Streitkräften nichts mehr im Weg.
Schafft man es aber nicht, die außenpolitische Ausrichtung abzustimmen, sollte man sich das lieber zunutze machen und die Aufgaben konsequenter verteilen. Im Fall der Panzerbeschaffung würde Frankreich dann den Leclerc durch etwas deutlich leichteres, evtl. sogar auf Rädern ersetzen, während Deutschland auf solche mittleren Kräfte einfach ganz verzichtet. Das würde evtl. später zu bildenden gemeinsamen Streitkräften noch nicht mal entgegenstehen, sofern die unterschiedlichen Systeme kompatibel ausgelegt werden. Denn beides hat ja gesamt-europäisch seine Berechtigung.
(18.05.2021, 22:02)Quintus Fabius schrieb: [ -> ]Wenn aber die zwei Kernländer Europas, deren gemeinsames Vorgängerreich überhaupt der Ausgangspunkt Europas an sich war, es nicht hinkriegen zusammen erfolgreiche Projekte durchzuführen, dann hat das negative Fernwirkungen in eigentliche alle europäischen militärischen Belange, einschließlich der Möglichkeit der Errichtung einer echten EU Armee. Solche Projekte erfolgreich abzuschließen ist eine der Grundlagen auf denen überhaupt mal eine EU Armee aufgebaut werden könnte. Daher gewichte ich die Politische Seite dieser Projekte sehr hoch.
Da hast du leider recht. Nur reicht dieser Ansporn allein ja anscheinend nicht. Die Frage, die sich mir daraus ergibt, ist: WELCHE Projekte sollten wir mit Frankreich durchführen, die wir dann auch zu einem guten Abschluss führen können. Und welche sollten wir lieber mit anderen Partnern angehen?
Im von dir verlinkten Text finden sich als Positiv-Beispiele MILAN und ROLAND. Das bestätigt mich in folgender Annahme:
- Deutschland und Frankreich sollten sich bemühen, ihre Aktivitäten zu Raketen und Lenkflugkörpersystemen zusammenführen. Diese sind bei weitem nicht so Doktrin-abhängig wie beispielsweise Panzer oder Jets. Dass es hier inzwischen kaum noch Gemeinsamkeiten gibt, ist reiner Industrie-Egoismus. Dabei hätte man mit MBDA sogar ein Instrument an der Hand, das auch das Potential hätte, andere Nationen einzubinden und echte EU-Standards zu setzen. MARS könnte demnächst überall einen Nachfolger gebrauchen, der auf so einer Kooperation aufbauen könnte, ohne dass dem allzu unterschiedliche Vorstellungen im Weg stünden.
Dies ist ein Feld mit unglaublich hohen Potentialen, die sich aber nur durch hohe Stückzahlen halbwegs bezahlbar erschließen lassen werden. Auch gemeinsame Munitionsreserven wären dann ein Thema.
Die unterschiedlichen VLS-Starter sind auch nicht förderlich für die europäische Integration. Könnte man sich hier einigen, könnte man vielleicht die sich derzeit immer stärker verfestigende Trennung zwischen den Marinen mit US-LFKs und denen mit Sylver-Startern überwinden.
Kurzum: Hier wäre enorm viel rauszuholen an europäischer Vereinheitlichung, ohne dass die unterschiedlichen Doktrinen zum Problem werden sollten. Nur die Industrie müsste man natürlich in den Griff bekommen.
(18.05.2021, 23:54)Ottone schrieb: [ -> ]Man muss sich bei aller Kritik aber auch einmal klar machen: Der politische Wille in D und F zusammen zu entwickeln und zu beschaffen ist ziemlich stark und hat konsequent dafür gesorgt, dass die streitenden Industrien sich zusammengerauft haben, trotz des ganzen Gezeters. Dünne Bretter wurden da bislang nicht gebohrt auf der politischen Ebene, und ich bin schon etwas beeindruckt.
Es wäre ja auch mehr als wünschenswert. Nur entwickelt es sich halt manchmal zum teuren Selbstzweck, dass man etwas unbedingt gemeinsam machen will, obwohl man eigentlich absehen könnte, dass es Unvereinbarkeiten geben wird.
(18.05.2021, 23:54)Ottone schrieb: [ -> ]Mal schauen, ob ähnliches mit D und NL bei den U–Booten passieren wird (innenpolitisch ein ganz schwieriges Thema in NL).
Es wäre so ein wichtiges Signal. Insgesamt hoffe ich immer noch auf eine deutsch-holländische Werftengruppe als Gegengewicht zu Naviris.