Erich schrieb:
Zitat: Schneemann, da müsste ich Dir widersprechen (wie wohl Du zu den qualifiziertesten und informiertesten Teilnehmern an der Diskussion zählst).
Wenn Du etwas zurück liest wirst Du feststellen, dass die "harte Gangart" (vulgo: Folter) in Abu Ghraib oder sonstwo auf ausdrückliche Order von höchsten Regierungskreisen erfolgte, und es einige ehemalige Regierungsmitglieder gibt, die sich heute noch der Verletzung von Menschenrechten - und damit u.a. auch des Verstoßes gegen die US-Verfassung (z.B. 5. und 6. Zusatzartikel) - rühmen.
Jein. Natürlich war die „harte Gangart“ leider eine Praxis die während des Bush’schen Anti-Terrorkrieges praktiziert wurde. Über die Folgen, Waterboarding, CIA-Flüge, etc. brauchen wir uns deswegen auch nicht streiten. Das war so und es war nicht mit demokratischen Grund- und Menschenrechtsprinzipien unter einen Hut zu bringen.
Aber: Ich habe mir vor kurzem den Film „SOP – Standard Operating Procedure“, der den Abu Ghraib-Skandal zum Thema hat, angeschaut. Der Film ist m. E. durchaus empfehlenswert. Darin kamen fast alle Protagonisten – außer Charles Graner, der Redeverbot hat und derzeit einsitzt – zu Wort. Das Ganze zeigte – und der Film kann als von unabhängig angesehen werden (auch erhielt er 2008 den großen Preis der Jury bei den Berliner Filmfestspielen) – wie naiv, ja wirklich dämlich die Leute waren. Das waren völlige überforderte Personen aus irgendwelchen amerikanischen Vor- oder Kleinstädten, die in eine eskalierende Situation hineingerieten, die sich immer mehr verselbstständigte und die sie selbst nicht begriffen. Dazu kamen natürlich immer noch Aspekte wie Machtgefühl, Ohnmacht, Unverständnis, Angst, Wut oder Hass (oder wie es einer der Befragten sagte: „Smiling in your face, stabbing in your back!“, als er einen Iraker beschrieb). Genau genommen hat man bei vielleicht 20 Prozent aller Befragten wirklich sadistische oder rassistische Motive vermuten können (wenn überhaupt), aber diese „Quote“ ist nichts sonderlich Herausragendes oder Spezifisches für die US-Army. In jeder Gesellschaft finde ich 15 – 20 Prozent solcher Leute, die Armee ist da nur der Durchschnitt.
Und: Janet Karpinski, die Chefin des Ladens, kam auch zu Wort. In der Zeit als sie das Kommando innehatte, hat sie gerade mal zwei (2!) Inspektionen durchgeführt. Sie hat nichts besonderes bemerkt. Das erklärt sich auch daraus, dass beteiligte Soldaten aussagten, man habe vor einer anstehenden Inspektion alles auf Hochglanz gebracht, um ein sauberes Lager zu zeigen. Diesen Zirkus kenne ich auch von meiner Armeezeit. Monatelang steht Material irgendwo eingemottet herum und keinen interessiert es, bis plötzlich die Meldung kommt, es stehe eine Inspektion an. Dann wird wie irre geflickt, gewienert und gemalt, und der inspizierende Offizier sieht eine glänzende und stramme Einheit vor sich stehen. Das ca. 25% des Fahrzeugbestandes (übermalte) Mängel hat, das jeder fünfte Mann krank ist, weiß er natürlich nicht. Aber für ihn ist alles tadellos. Und wenn das schon im kleinen Rahmen so ist, dürfte es im größeren nicht viel anders sein. Und dadurch, dass Frau Karpinski sich eigentlich einen Mist um ihr Lager gekümmert hat – und das muss man ihr durchaus vorwerfen –, haben sich manche Dinge eben entwickelt. Kurz: Die Vorbildfunktion des Vorgesetzten war auch nicht gegeben, weil dieser kaum da war und sich nicht groß drum geschert hat.
Auch einer der wenigen Todesfälle in Abu Ghraib kam zur Ansprache – und in diesem Punkt stimme ich dir wieder zu, was die Verwicklung der Geheimdienste angeht –, denn dieser fand nicht im Lager selbst statt, sondern der Tote war schon tot als er gebracht wurde. Und es waren, so sagten es die Beteiligten aus, Geheimdienstpersonen, die den betreffenden Iraker gebracht haben. Insofern: Ja, die Geheimdienste haben hier einige Schweinerein sich geleistet, hier wurde geltendes Recht ausgehebelt, da gebe ich dir Recht, aber wiederum nein, weil die Soldaten vor Ort eben die genannten Strukturen gar nicht begriffen haben und in einen Teufelskreis hineingeraten waren.
Schneemann.