Tja, da hätten wir einen nicht gerade einfachen Komplex angeschnitten. In deinem Post kommen zudem noch mehrere Sachverhalte zusammen, die man IMO auch nicht ohne weiteres miteinander verknüpfen kann:
Die Praktizierung der Todesstrafe steht nach meiner Meinung nicht im Widerspruch zur Respektierung der
praktikablen Menschenrechte. Auch Menschenrechtsorganisationen bemängeln in punkto Todesstrafe in den USA nicht einen rechtlichen, sondern lediglich einen moralischen Verstoß gegen die Menschenrechte. Allerdings ist der Standpunkt dieser Organisationen ebenso wie jeder andere ein rein normativer und hier kommen wir zur Krux der Menschenrechte. Anders ausgedrückt:
Die USA besitzen eine Rechtsordnung. Diese Ordnung verpflichtet die Bürger wie in jedem anderen Staat zu gewissen Dingen und gewährt ihnen daher andere Dinge. Kommt der Bürger seinen Verpflichtungen nicht nach, kann er auch der Freiheiten/Garantien verlustig gehen.
Hier kommen wir schon zum elementaren Problem: Der Begriff
Menschenrechte ist ein ziemlich philosophischer, er spricht einem Menschen unabh. von einer Rechtsordnung gewisse Grundrechte zu, die er als "natürliche Person" besitzt. Schon hier habe ich massive Zweifel, wie realistisch solch eine Formulierung ist und wie glaubwürdig eine Garantie für den Bestand solcher Rechte in einem Staat sein kann. Menschenrechte werden in der Praxis nach meiner Wahrnehmung eher als
Bürgerrechte gehandhabt, also als Freiheiten, die ein Mensch innerhalb eines Staates genießt und auf die er innerhalb dieses Staates (und nur innerhalb) ein Anrecht hat.
Genauergesagt: Eigentlich verstößt jeder Staat schon gegen die Menschenrechte, wenn er seine Bürger aufgrund eines Verbrechens inhaftiert. Aber natürlich käme niemandem in den Sinn, so etwas zu kritisieren, denn der Staat hat das Recht und die Pflicht zur Sanktionierung. Und das führt zu der Frage, was wichtiger ist: der Schutz der Bürger im Staat und somit die Garantie ihrer Freiheiten voreinander oder selbiger Schutz vor dem Staat? Ein Streitfall, der bis heute wohl nicht gelöst wurde und vermutlich nie gelöst werden kann.
Ergänzend sei noch gesagt, dass man die Problematik der Todesstrafe nicht pauschal für Kritik an den USA verwenden sollte, denn die Strafgerichtsbarkeit ist Sache der Bundesstaaten und auch bei weitem nicht überall angewendet. Ob sie in einem Staat eingeführt wird oder nicht, ist Sache dieses Staates, vielmehr seiner Bevölkerung, die über die Wahl ihres Gouverneurs ein gutes Wörtchen mitzureden hat. Letztendlich ist die Todesstrafe damit demokratisch genauso untermauert wie die Wahl von G.W.Bush, ob einem das gefällt oder nicht. Letztendlich sollte in einer Demokratie aber doch das Volk entscheiden, was es für richtig hält und in dieser Hinsicht ist den USA bei der Todesstrafe kaum ein Vorwurf zu machen. Das wird auch dadurch deutlich, dass bei der jüngsten Hinrichtung eben nur 200 Demonstranten protestierten, vermutlich die meisten Angehörigen irgendeiner entsprechenden Aktivistenbewegung.
Zitat:Das Recht auf Leben steht glaube ich zuvorderst bei den Menschenrechten.
Man kann darauf leicht erwidern, dass dieses Recht auf Leben auch das der Ermordeten beinhaltet. Indem der Mörder dieses Recht nicht respektiert hat, stellt er sich außerhalb der Rechtsordnung und wird seines eigenen Anrechts entsprechend verlustig. Im Mittelalter nannte man das "vogelfrei" und ich persönlich sehe das als durchaus nachvollziehbar an.
Zitat:wenn die Regierung einfach öffentlich bekanntgeben würde, dass für sie das Recht des Stärkeren gelte, dass sie die Menschenrechte, die UN-Charta, diplomatische Regeln und Anstand mit Füssen trete und dass nur noch reine Interessen der USA um jeden Preis vertreten würden.
Aber die USA sind kein Staat, in dem das Recht des Stärkeren gilt. Ansonsten würden jeden Tag jede Menge Vermögensgegenstände den Besitzer wechseln, jede Menge Frauen vergewaltigt, Kinder mißhandelt und Rassismus offen praktiziert werden und das alles staatlich legitimiert. Denn das bedeutet "Das Recht des Stärkeren".
Zitat:Für getötete amerikanische G.I.s werden längst keine "Grabmäler des unbekannten Soldaten" mehr errichtet, das Medienecho ist bei jedem Gefallenen gewaltig (hängt auch mit der geringen Anzahl zusammen, zugegeben); ich will damit nur andeuten, dass beim Recht auf Leben zwischen Heldentod und Tod durch Bestrafung unterschieden wird. Ein toter G.I. hat vielleicht Dutzende Iraker auf dem Gewissen, die er vielleicht nicht gefragt hat, ob sie noch am Leben bleiben wollen, genauso wie ihn selbst auch niemand gefragt hat. Dann könnte man ja wenigstens dem Mörder "nur" lebenslänglich geben.
Nun, ich glaube, mit dem G.I. wirst du ein wenig polemisch, das hat IMO herzlich wenig mit der Todesstrafe zu tun, sondern mit Kriegsrecht und darüber kann man völlig unabhängig ewig philosophieren.
Allerdings frage ich mich, inwiefern "lebenslänglich" (ich gehe davon aus, du meinst richtiges Lebenslänglich, nicht die 15 Jahre wie hier in Deutschland) denn besser wäre? Es bringt offen gesagt niemandem was, weder dem Häftling, der dadurch moralisch geläutert wird (ein Mensch ohne Perspektive) noch der Gesellschaft, die zwar geschützt ist, aber dafür schlicht und ergreifend unverhältnismäßig Geld bezahlt.
Kein Zweifel, es ist fakt, dass das amerikanische Strafsystem Defizite hat...das belegen schlicht und einfach die lieben Statistiken: Straftaten prozentual auf die Bevölkerung angerechnet, Rückfälligkeitsrate, Inhaftierungszahlen etc. Ich halte wenig bis nichts von Michael Moore, aber in "Bowling for Columbine" hat er einige Fakten genannt, die nicht zu leugnen sind (besonders der Kanada-Vergleich war amüsant). Allerdings ist die Todesstrafe IMO nicht der Hauptschuldige in dieser Problematik, sondern die bestehenden (und unzureichenden bzw. wirkungslosen) Mechanismen zur Reintegration von Straftätern.