@Kongo Erich
Zitat:Stattdessen wurde Harris mit einer Reihe von unlösbaren Aufgaben betraut und so verheizt.
Das ist das, was ich ehrlich gesagt auch nicht verstehe. Ich hatte vermutet, dass Biden vllt. noch die ganze Amtszeit macht, aber nach und nach Harris bereits aufbaut als seine Nachfolgerin. Aber stattdessen versenkt und verschleißt man sie und der alte Grandseigneur tritt nochmals an, obwohl er nicht mehr als der eloquenteste und fitteste gilt (und ausgerechnet er soll das Rumpelstilzchen Trump einfangen). Das könnte einer der großen Fehler der Demokraten sein...
@Quintus
Zitat:...die Demokraten rücken weiter nach links - aber die USA insgesamt rücken meine Wahrnehmung nach nicht nach Links, sondern im Gegenteil.
Wobei ich mich frage, ob das ein normaler wellenförmiger Vorgang ist, den wir in den USA immer schon gesehen haben, oder der Beginn einer weiterführenden Erosion und Spaltung der Gesellschaft?
Nach der konservativen Phase Reagan/Bush Senior in den 1980ern, kam in den 1990ern die liberale Ära Clinton (der gerade in Europa sehr gemocht war). Aber während Clinton hat das konservative, ja "bodenständig-ländliche" Amerika schon den Untergang der Zivilisation und Sodom und Gomorra gewittert, was die Europäer aber wenig zur Kenntnis nahmen.
Es war diese konservative, teils auch christlich-evangelikale Strömung, die mit zum Sieg von Bush Junior 2000 beitrug (das Florida-Theater mal außen vor gelassen), aber es waren eben stramm konservative und keine rassistischen oder rechtsextremen Strömungen. Auf die diffusen Bush-Jahre, die NeoCon-Ära und v. a. das Drama in Irak folgte dann Obama, das Pendel schwang also eindeutig in die andere, liberalere Richtung, denn die Menschen waren die Jahre von Bush und Co., die Überheblichkeit der Neokonservativen und die Kriege in Nahost leid.
Während Obama schwang das Pendel also wieder in die andere Richtung, was als normal angesehen werden kann, allerdings war es dieses Mal keine "nur" erzkonservative Strömung oder Opposition, sondern es mischten sich isolationistische, wirre pseudolibertäre und auch eindeutig rassistische und rechtsextreme Momente mit in diesen "Protest" gegen den ersten schwarzen Präsidenten. Und gerade an diese Kreise hat Trump populistisch sehr geschickt angedockt.
Dass Biden dann gewann, war dem selbstherrlichen, irrlichternden und vulgären Gehampel von Donald I. geschuldet - zusätzlich zu einer gewissen Mobilisierung der Gegenseite, die aber nur gelang, weil Trump unverfroren und tagesaktionistisch mit rechtsextremen Kreisen anbandelte -, den viele Amerikaner schlichtweg nur mehr als peinlich ansahen, obgleich sie zugleich manche Aspekte seiner Politik (Arbeitsplätze im Land halten, Gegenpol zu China, Eindämmung der Einwanderung) teils durchaus begrüßten.
Biden gewann also nicht, weil er so ein herausragender Charmeur oder guter Redner wäre oder ein tolles Konzept gehabt hätte, sondern weil sein Gegenüber sich im wirren Aktionismus, selbstgefälligen Hedonismus und Twitter-Gepöbel verirrt hatte. Hinzu kam, dass Trumps Äußerungen und seine Politik während der Corona-Pandemie vermutlich mehrere hunderttausend Amerikaner zusätzlich das Leben kosteten, was ihm auch auf die Füße fiel.
Fair gesagt: Rein gemessen anhand der wirtschaftlichen Zahlen, folgt man dem
It's the economy, stupid!-Zitat aus der Clinton-Zeit, wäre Trump sehr wahrscheinlich nicht abgewählt worden - wenn er sich ein klein wenig zusammengerissen, gemäßigt und diplomatischer verkauft hätte. Die Demokraten hatten also einen recht glücklichen Sieg errungen, der stark von den charakterlichen Fehlern des politischen Gegners mitbeeinflusst wurde. Das ist aber keine Dauerlösung bzw. man kann nicht darauf bauen, dass dies zukünftig auch Siege ermöglichen wird. Hinzu kommt, dass sich das innenpolitische Klima in den USA - vor allem hinsichtlich Einwanderung, Drogenproblemen und der Kriminalität - aktuell weiter aufgeladen hat.
Fazit: Die Bevölkerung ist also i. d. T. durchaus in manchen Bereichen konservativer geworden, aber nicht, weil sie es wirklich im Kern wäre, sondern weil sie beinahe dorthin getrieben wird durch die Unfähigkeit (oder den Unwillen) Washingtons, heikle Themen wie etwa die Grenzsicherung anzugehen. D. h. auch wenn (was wenig bekannt ist) die Mehrheit der Amerikaner z. B. schärfere Waffengesetze begrüßen oder auch Abtreibungen erlauben würde (!), bestünde die Chance, dass Donald II. erneut ins Weiße Haus einzieht, eben weil die Demokraten die Zeichen der Zeit nicht verstanden haben.
Schneemann