@lime
Zitat:Es betrifft ja nicht nur Gadaffi. Auch Assad, Saddam usw. wären zu benennen. Allesamt waren sie besser als das was nach den westlichen Intervention entstanden ist, die am Ende nur Islamisten verschiedenster Richtungen gestärkt oder gar gleich an die Macht gebracht hat. [...]
Ohne Intervention des Westens wären alle Drei bzw. ihre "Thronfolger" noch an der Macht. [...] Da wäre gar nichts zusammen gebrochen. Die saßen fest im Sattel. [...]
1. Wie gesagt: Das Thema Gaddafi möchte ich hier nicht mehr ellenlang austreten - es sei aber darauf hingewiesen, dass die westliche Intervention erst dann eintrat (übrigens mit UN-Beschluss), als im Kontext des arabischen Frühlings es massive Proteste und Menschenrechtsverletzungen durch das Regime im Lande gab. Und ob Gaddafi sich hätte durchsetzen können bzw. es keine jahrelang schwelende Bürgerkriegslage gegeben hätte - mit ein paar zehntausend Opfern und Flüchtlingsbewegungen nach Europa - muss sehr stark infrage gestellt werden (das hatte ich explizit kürzlich hier [
https://www.forum-sicherheitspolitik.org...543&page=3] auch erläutert).
2. Assad hatte das gleiche Problem. Hier werde ich gerne aber etwas detaillierter. Assad hatte eine Revolte im Land, und zwar eine, die im Kern bzw. in Teilen nicht neu war und die auch absehbar war. Das Problem im Land war und ist eben, dass eine vergleichsweise kleine, wenngleich auch weitgehend säkulare Gruppe (hauptsächlich die Alawiten) die Macht seit über 60 Jahre in Händen hält und dass diese Gruppe, auch aus (verständlicher) religiöser Angst heraus, den Deckel auf der "islamischen Erneuerung" zu halten versucht. Als die Lage dann entsprechend gärte, ging das Regime wie üblich mit brachialer Gewalt dagegen vor - nur war dieses Mal die Lage nicht so leicht in den Griff zu bekommen wie 1982 und bei der Vernichtung von Hama. Dies lag schlicht auch daran, dass die Bevölkerung Syriens sich von 1982 bis 2011 - auch wenn KheibarShekan interessanterweise meinte, es habe kein "signifikant hohes Bevölkerungswachstum" in Syrien gegeben -, d. h. in knapp 30 Jahren, von ca. 9,5 Mio. Menschen auf mehr als 22 Mio. Menschen mehr als verdoppelt hatte und dass 60% davon unter 25 Jahren alt waren und unter zunehmender Perspektivlosigkeit litten. Kein Regime wird dies auf Dauer durchhalten können. Spätestens dann, als die ersten Meldungen über den brutalen
crackdown des Regimes durchsickerten, warnte der BND übrigens (2011) davor, dass die Lage in Syrien sich weiter verschärfen und dass hieraus massive Flüchtlingsströme entstehen könnten. Die damalige Bundesregierung hat das eher verdrängt und fiel dann 2014/15 aus allen Wolken, als plötzlich hunderttausende nach Europa drängten.
Darüber hinaus verschärfte sich die Lage in Syrien nicht deswegen, weil der Westen interveniert hätte, sondern sie verschärfte sich, weil er anfangs nichts tat. Bereits 2011/12 wurde in Europa diskutiert, ob man die Rebellen in Syrien - die zu diesem Zeitpunkt noch in der Mehrheit
nicht islamistisch waren - unterstützen sollte. Man hat sich dagegen entschieden. Ob aus Ohnmacht, politischem Unwillen oder schlichter Ignoranz sei dahingestellt. Interessant in diesem Kontext war indessen auch, dass man sich auf den Präzedenzfall Libyen berief (!) - denn dort hatten die Westmächte einen UN-Beschluss, im Falle Syriens konnte man damit nicht rechnen, weswegen man also völkerrechtlich ungedeckt hätte eingreifen müssen. Ob dies nun ein vorgeschobenes Argument zwecks dem Kreieren von einer Ausrede zum Nichthandeln war, muss ebenso offen bleiben. Stattdessen aber sprangen die Golfaraber und die Emirate dann in die Bresche und haben - wenig verwunderlich - v. a. dann die Gruppen finanziert und hofiert, die dem salafistischen und wahhabitischen Geist nacheiferten. Es war dann die Stunde des Erstarkens radikaler, teils fundamentalislamistischer Kräfte, die ab 2013 zunehmend zum Problem wurden, die die säkular ausgerichteten Rebellen in den Hintergrund drängten und die auch das Regime immer mehr bedrängten. Dass Assad bzw. seine Satrapen sich dann doch halten konnten liegt fast ausschließlich an russischer (ab 2015) und iranischer Unterstützung - ob es zum Wohle des Landes ist, lasse ich bewusst offen. Von einer wie auch immer gearteten westlichen Intervention, die die Lage von Assad erst so schlecht habe werden lassen, kann allerdings nicht gesprochen werden.
3. Saddam. Zweifelsohne der wunde Punkt. Der US-Angriff war klar entgegen des Völkerrechtes - und er hat nebenbei auch den Westen stark entzweit (Stichwort: "Koalition der Willigen", Händchenhalten von Schröder und Chirac mit Putin etc.). Bleibt die Frage, ob der Irak mit oder ohne Saddam besser gefahren wäre? Vermutlich wäre das Land stabiler gewesen über die kommenden Jahre, aber eben zum Preis der Gewaltherrschaft des "Tyrannen vom Tigris". Ob es keine konfessionelle Gewalt gegeben hätte, so wie 2004 bis 2015, muss offen bleiben. Denn auch im Irak gibt es das große Problem der Demographie - und es wäre die Frage gewesen, wie lange der alternde Saddam (Jahrgang 1937) noch den Deckel hätte draufhalten können, wenn er 2003 nicht gestürzt worden wäre? Vielleicht acht oder zehn Jahre? Und was wäre danach gekommen? Man entsinne sich, dass es ehemalige Offiziere von Saddams Geheimdiensten waren, die den IS mit ins Leben gerufen haben. Es muss unklar bleiben, aber eines ist gewiss: Im Irak haben alle Regierungswechsel meistens eine Blutspur nach sich gezogen...
Abgesehen davon haben die USA mit ihrem Sturz von Saddam zwei weitere (oft übersehene) Aspekte zumindest tendenziell mitbedingt...
a) der Einfluss des Iran wurde gestärkt, denn Saddam war zwar ein Blutsäufer, aber er war ein säkularer Tyrann, der sunnitische Fundamentalisten genauso hasste wie die schiitischen Eiferer (und er war es ja auch gewesen, der in den 1980ern dem Gottesstaat Khomeinis die Zähne ziehen wollte). Kurz: Er war der Hauptbremsklotz für die Regierungsübernahme der Schiiten in Irak und die Eröffnung der "Landbrücke" von Iran nach Syrien - nachdem er gestürzt worden war und nach einer Phase der Wirrnis konnten (entsprechend der Bevölkerungsmehrheit) die Schiiten in Irak die Regierung stellen. Dies wiederum erleichterte es Teheran, dem bedrängten Verbündeten Assad in Syrien Unterstützung zukommen zu lassen.
b) die Anstrengungen im Krieg gegen den Terror wurden bedingt durch die Kräftedivergierung auf Irak signifikant geschwächt und damit auch das Engagement des Westens in Afghanistan. Nach 2004 verlor Washington Afghanistan immer mehr aus den Augen, da die Lage in Irak zunehmend entglitt. Vor dieser Entwicklung, ja dieser Kräfteverzettelung gab es genügend Warnungen, gerade auch von den Europäern. Der desaströse Abzug aus Kabul 2021 ist mit eine Fernwirkung des Irakkrieges von 2003.
Fazit: Ich gebe dir recht, dass bezogen auf deine Kritik an westlichen Interventionen der Sturz Saddams ein Problem gewesen sein könnte. Bzgl. Assad und Gaddafi widerspreche ich dir aber.
@alphall31
Zitat:Syrien , Türkei , Afghanistan , Irak und Iran machen über 70% der Asylanträge aus die in letzten zwei Jahren gestellt wurden. Mit über 30% kommt aus Syrien der größte Teil . In drei von den fünf Ländern haben wir Militäreinsätze durchgeführt . Mit dem irakkrieg hat der Westen die ganze Region destabilisiert . Ohne diesen hätte es auch keinen Islamischen Staat gegeben .
Genau genommen waren es nur zwei Einsätze (Irak und Afghanistan), Syrien und diesen halbgaren Ansatz mit der Anti-IS-Koalition kann man schwer gelten lassen. (Siehe auch die Erklärungen oben.) Darüber hinaus muss man auch ein wenig vorsichtig sein, was die Flüchtlingsthematik und die Auswirkung auf Deutschland angeht. Sicherlich gibt es einen entsprechenden Zulauf, aber von 6,5 Mio. afghanischen Flüchtlingen kamen vermutlich 0,5 Mio. nach Deutschland (8% aller Geflohenen) und von knapp 5,6 Mio. Syrern, die seit 2011 das Land verlassen haben, kamen wohl 1 Mio. nach Deutschland (ca. 17% aller Geflohenen). D. h. auch wenn wir jammern ob der illegalen Migration, so sind die reinen, direkten Auswirkungen auf Deutschland hinsichtlich der Kriege im Nahen Osten wiederum relativ überschaubar. Und in gewisser Weise gebe ich da KheibarShekan wiederum recht, wenn er darauf hinweist, dass die Masse der Geflohenen in den Ländern des Nahen Ostens verblieben ist - was auch zutrifft.
Die Frage, die sich stellt, ist aber eine andere: Wäre von auszugehen, wenn es keinerlei militärische Aktivitäten des Westens (bzw. generell keinerlei Interventionen) in den genannten Staaten gegeben hätte, dass wir dann nicht eine entsprechende Flüchtlingsproblematik gesehen hätten? Ich denke eher nicht...
Schneemann