Skywalker schrieb:Zitat:Vom Kemalismus nicht mehr viel übrig
GASTKOMMENTAR VON DETLEF KLEINERT (Die Presse)
Die Türkei ist auf unabsehbare Zeit keine rechtsstaatliche Demokratie.
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hier ein paar gegen argumente :-)
Vom Islamismus nicht mehr viel übrig
Unter den großen Parteien in Ankara ist es bislang nur die AKP, die sich für die notwendigen Reformen einsetzt. – Replik auf „Vom Kemalismus nicht mehr viel übrig“, von Detlef Kleinert, 19. Juli.
auszüge:
Der wirkliche Skandal war bis vor kurzem ein anderer: dass in der modernen Türkei sexuelle Gewalt gegen Frauen nur als Vergehen gegen die Ehre, nicht aber als Gewalt gegen Individuen bestraft wurde. Dass Vergewaltiger begnadigt wurden, wenn sie ihr Opfer heiraten wollten, Ehrenmorde nachsichtig beurteilt wurden und es Vergewaltigung in der Ehe nicht gab. Dieses Strafrecht wurde von kemalistischen Reformern aus Italien übernommen! Seit 2005 hat die Türkei ein neues Strafrecht, dass den Begriff der „Ehre“ entfernt und die individuellen Rechte von Frauen in den Mittelpunkt gestellt hat. Dieses Strafrecht wurde mit der AKP-Mehrheit im Parlament beschlossen, wie viele andere Reformen: ein modernes Arbeitsrecht (2003), eine Parlamentskommission zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, neue Familiengerichte in der ganzen Türkei.
Im türkischen Parlament sind tatsächlich nur acht Prozent Frauen. Das ist zu wenig und muss sich ändern, doch es ist ein türkischer Rekord....
die AKP hat sowohl prozentual als auch absolut mehr weibliche Abgeordnete als die „säkularen“ Parteien CHP und MHP.
der Alkohol. Eine konkrete Zahl: Der Bierkonsum in der Türkei ist von 2006 bis 2007 von 803 Millionen Liter auf 844 Millionen Liter gestiegen. Es gibt Versuche, Alkoholkonsum durch hohe Steuern einzuschränken (keine wirklich türkische Idee, man muss dafür nur nach Skandinavien oder in manche US-Bundesstaaten blicken), doch bislang mit geringem Erfolg. Von der Scharia ist die Türkei heute weiter entfernt als je in ihrer Geschichte.
Worum geht es also im derzeitigen türkischen Machtkampf?
Es ist ein Kampf um Macht und Einfluss zwischen Teilen einer alten Elite, die es gewohnt ist, auch ohne demokratische Kontrolle zu regieren, und neuen Gruppen, die endlich auch mitreden wollen. Es geht tatsächlich um mehr Rechte und mehr Demokratie für Frauen, aber auch für Kurden oder Christen. Dahinter steht die Frage, ob die Türkei eine europäische Demokratie werden will. Unter den großen Parteien in Ankara ist es bislang nur die AKP, die sich für die notwendigen Reformen einsetzt. Der Vorwurf, den man machen muss, ist, dass dies oft zu langsam erfolgt. Doch von einer Islamisierung ist nichts zu sehen.
Absurd wird es, wenn Kleinert schreibt,
dass dem Militär mit Verhaftungen gezeigt werden soll, dass die Verteidigung des Laizismus als strafbar angesehen werden könne. Die Anklage gegen ultranationalistische Exgeneräle und Polizisten lautet auf Bildung einer terroristischen Vereinigung. Ziel dieser Vereinigung, bekannt unter dem Namen Ergenekon, soll es gewesen sein, eine chaotische Situation zu schaffen, die das Militär zum Eingreifen „zwingt“. Dazu kam die Veröffentlichung von Tagebüchern eines Exadmirals im Frühjahr 2007 über konkrete Putschpläne innerhalb der Armee 2004. Mord, versuchter Mord und Staatsstreich sind keine Kavaliersdelikte. Den Beschuldigten werden Kapitalverbrechen vorgeworfen. Dass diese nun untersucht werden, ist sehr wichtig für die türkische Demokratie.
Eine wichtige Rolle bei der Offenlegung krimineller Verbindungen spielt die erst im November 2007 gegründete Zeitung „Taraf“. Diese als „Sprachrohr Erdogans“ zu bezeichnen ist so zutreffend, wie „Die Presse“ zum Sprachrohr der kommunistischen Partei Österreichs zu machen. „Taraf“ ist eine der wenigen unabhängigen Zeitungen, in der liberale, nichtkemalistische Intellektuelle schreiben. Der bekannte Menschenrechtler Murat Belge sagte uns erst letzte Woche, die wahre Angst der Kemalisten sei die Demokratie. Etyen Mahcupyan, Chefredakteur der türkisch-armenischen Zeitung „Agos“, nannte den Machtkampf in einer Kolumne am 28.März ein „seltsames Duell. Die Seiten sind Demokratie und Faschismus. Die konservative Partei ist für Demokratie, wohingegen die elitären Gruppen innerhalb des Staates Faschismus befördern.“ Sind der liberale Belge und der Armenier Mahcupyan in den Augen von Herrn Kleinert etwa auch Islamisten? Vielleicht ist Herr Rehn doch nicht so ignorant, sondern einfach besser informiert?
quelle:
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dieser artikel ist sehr lesenswert und schildert worum es in der türkei wirklich geht:
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auszüge:
Säkular zu sein wird so zur Kleidermode, zum Promenadenauftritt, zur Cocktailempfangspose. Das kann modern sein, muss es aber nicht. Das Patriarchat gibt es auch jenseits der Religion. Auf politischer Ebene hat dieser türkische Säkularismus weniger die strikte Trennung von Staat und Religion im Sinn. In Ankara überwacht seit Atatürks Zeiten ein Amt für Religionsangelegenheiten die Gläubigen und vermengt also durchaus Islam und Obrigkeit. Eher geht es darum, die Lufthoheit der »modernen« Laizisten über »rückständige« Religiöse zu demonstrieren. Das Kopftuch wird dort zum Symbol, wo im wirtschaftlichen Aufschwung immer mehr Türken und Türkinnen vom Land in die laizistisch geprägten Großstädte ziehen und konservative Gegentrends prägen. Dazu gehören lange Röcke, Kopftuch, Schnauzbart und Partys mit Fruchtsaft. Sie stellen im Land die Mehrheit. Dass sie nun ihren Lebensstil anderen aufzwingen wollen, fürchtet die weltliche Minderheit.
Die Richter. Das Verfassungsgericht in Ankara tagt in einem weißgrauen Betonklotz neben dem militärischen Hochsicherheitstrakt des Präsidenten. Die obersten Richter haben vor wenigen Wochen zwei Artikel aus dem Grundgesetz gestrichen, die es Frauen mit Kopftuch ermöglicht hätten, an türkischen Universitäten zu studieren. Es war ein Freiheitsgesetz westlichen Zuschnitts, zugleich aber auch Erdoğans Verbeugung vor seiner Wählerschaft. Die Verfassungsrichter hätten eine Korrektur anmahnen können. Stattdessen demonstrierten sie mit der geräuschvollen Aufhebung einer Parlamentsentscheidung, was von ihnen auch im AKP-Verbotsverfahren zu erwarten ist: die »Rettung der säkularen Republik«.
Menschenrechte? Bedrohen die staatliche Sicherheit, meinen Juristen
Dass der Kampf der Justiz für die säkulare Gesellschaft auch reaktionäre Züge trägt, zeigt eine Umfrage der liberalen Tesev-Stiftung. Demnach sind 51 Prozent aller türkischen Richter und Staatsanwälte der Meinung, dass Menschenrechte eine Bedrohung der staatlichen Sicherheit darstellen können. Ebenso viele lehnen es ab, bei ihren Urteilen internationale Rechtskonventionen zu berücksichtigen.
Die Anklageschrift gegen die AKP ist dünn: Staatsanwalt Yalcinkaya verrührt über zehn Jahre alte Islamzitate ihrer Führer mit Presseartikeln über den antialkoholischen Eifer einzelner Lokalpolitiker, die Gastwirten die Alkohollizenz verweigern. Entsprechend hat der Berichterstatter beim Verfassungsgericht empfohlen, die AKP nicht aufzulösen. Doch die Richter verwarfen seinen Rat schon im Kopftuchverfahren. Parteiverbote sind in der Türkei keine Rechts-, sondern eine Herrschaftsfrage. Umso mehr, als die Kemalisten sich in die Enge getrieben fühlen. Die Staatsanwaltschaft will es auch nicht bei einem Verbot der AKP belassen, sondern die prokurdische DTP ebenfalls auflösen. Damit stünden jene Parteien, welche die Kurden im Südosten gewählt haben, vor dem Ende.
Die Partei. Atatürks Republikanische Volkspartei verlor die Alleinherrschaft 1950, als die Türken das erste Mal zwischen mehreren Parteien wählen durften. Heute kommt die CHP nicht mehr über 20 Prozent hinaus, sie ist vom Regieren ebenso weit entfernt wie von den Zielen der Sozialistischen Internationalen, der sie trotz Querelen noch angehört. Inzwischen steuert die CHP einen nationalistischen Kurs und stimmt gegen jegliche Reformen, welche die Regierung Erdoğan auf Drängen der EU verabschiedet. In den Reihen der CHP finden sich indes nicht nur Beamte und Richter, sondern auch angesehene Frauenrechtlerinnen wie die Abgeordnete Necla Arat.
Die AKP hat den Maulkorbparagrafen 301 über die »Beleidigung des Türkentums« vorsichtig reformiert, Arat und die CHP waren dagegen. »Weil der Staat und seine Beamten gegen Lügen geschützt werden müssen, die das Bild des Landes nach außen verdunkeln«, sagt sie. Die AKP hat die Rückgabe von Eigentum an Kirchen und Synagogen erleichtert – gegen die Stimmen von Arat und der CHP. »Weil die Muslime in Griechenland nicht die gleichen Rechte haben wie die Griechen hier. Wenn sie uns respektieren, dann respektieren wir sie.« Die AKP öffnet die Türkei für ausländische Investoren, die CHP protestiert gegen diese Privatisierungen. »Beim Ausverkauf unserer Reichtümer geht der Profit ins Ausland, an Europäer und Araber«, sagt Arat. »85 Jahre lang haben hier Türken Fabriken geführt, und das soll so bleiben.« Die AKP wische alle Einwände mit Hinweis auf ihre absolute Mehrheit fort. Sie besetze immer mehr Posten im Staat, sagt Necla Arat. »Unsere Demokratie ist nicht die Diktatur des Herrn Premierministers.«
Die Putschisten nennen ihre Pläne »Handschuh« und »Mondschein«
»Alles unbewiesen«, wiegelt Alpaslan Isikli ab, ein Vertreter des pensionierten Obergendarmen. Der General habe lediglich im vergangenen Jahr die großen säkularen Demonstrationen gegen die Regierung organisiert. Warum? »Weil die AKP das Greater Middle East Project der Amerikaner umsetzt«, sagt Isikli. »Teil des US-Plans ist, Kurden und Türken zu entzweien und eine jüdisch-kurdische Allianz zu schmieden.« Die EU indessen habe 2004 schon beschlossen, die türkischen Provinzen an Euphrat und Tigris zu internationalisieren und das Wasser und Öl der Region zu verkaufen. »Die Kurden sollen für die EU die Kastanien aus dem Feuer holen.« Was in den Ohren von Ausländern recht abenteuerlich klingt, ist in nationalen Kreisen herrschende Meinung. Die Klageschrift beim Verfassungsgericht wirft der AKP gleichfalls vor, Amerikas Mittelostpläne umzusetzen. Und das Zentralorgan des Kemalismus, die Zeitung Cumhuriyet, schreibt, dass die Türkei von Amerika, der EU und dem Islam eingekesselt werde. Die AKP sei nur das Werkzeug, um das Land aufzuteilen, es gehe um »Sein oder Nichtsein«.