01.05.2006, 11:34
Gut pointiert gesagt, Wolf.
Er hat (leider) absolut Recht. Urislamische Gesellschaften mögen dem Anschein nach "demokratische Strukturen" gehabt haben. Nur hat das absolut nichts mit der Religion zu tun, sondern viel eher mit der Gesellschaftsform, mit der damaligen starken Bedeutung tribaler Strukturen (also Stammesstrukturen). Es wird hier leider zu oft vergessen, dass man Werte und Religion nicht abgelöst von der Gesellschaft, von ihrer "Art und Weise" betrachten kann. Bestimmte Werte und Verhaltensvorschriften passen einfach nur in bestimmte Zeiten und bestimmte Gesellschaftszustände. Ansonsten werden sie zur Belastung, lösen Konflikte und Extraprobleme aus.
Daher zeiht das Argument der demokratischen Strukturen im Urislam nicht. Demokratische Strukturen gab es auch schon in der Antike, gab es auch bei den germanischen Stämmen, gab es auch in so manchen mittelalterlichen, neuzeitlichen Republiken im Ansatz. Man kann sehr viel an kollektiver Entscheidungsfindung als demokratische Struktur zusammenfassen.
Aber das bringt nicht viel. Es geht um das heute, um die Erfordernisse moderner Technologie, die Probleme von Massnegesellschaften, von wirtschaftlichem Strukturwandel, von Entwicklung. Mit den Lösungen der Vergangenheit wird man nichts erreichen. So schmerzvoll es ist (und ich bin kein Verfechter der Verwestlichung per se), auch islamische Gesellschaften werden ihren Islam, ihre Gesellschaftsvorstellung reformieren müssen, modernisieren müssen, offener machen müssen. Es wird zwangsweise eine Selektion geben müssen, was der islam heute noch ist und was er nicht mehr sein kann. Diese Selektion können aber die Geistlichen nicht allein machen. Deren abbröckelnde Autorität im Iran sollte zu denken geben: Der Iran ist doch ein wunderschönes Beispiel, wo diese islamische Demokratie hinführt: Mitten in die Spaltung und Polarisierung der Gesellschaft ohne, ich wiederhole ohne Konfliktbereinigung. Die Mullah wissen selbst nicht, wie viel Freiheit sie geben können, die arme Landbevölkerung lebt noch teilweise gerade im Osten wie im Mittelalter und akzeptiert die Autorität der Mullahs, die moderne Stadtbevölkerung, die besser gebildete Jugend nicht.
Ich möchte Wolfs Kritik daher mal anhand dieses Beispiels erweitern:
Es ist ja nicht nur, dass die demokratische Kontrolle über die Mullahs fehlt. das ist nur der eine Punkt. Aber mit wirtschaftlicher Entwicklung, mehr Reichtum kommt auch eine stärkere soziale Polarisierung in die Gesellschaft hinein. Es entwickeln sich mehr und mehr ausdifferenzierte Gesellschaften. Was bedeutet diese akademische Bezeichnung: Wir haben eben keine gefestigten Dorfgemeinschaften mehr, wo alle relativ gleich lebten und daher auch leicht eine gemeinsame Vorstellung vom Islam haben konnten. Nun haben wir Großstädte, wir haben völlig unterschiedliche Lebenswelten. Ein reicher Teheraner Student, der englisch kann die westliche Lebensart kennt, will eben beispielsweise mit seiner neuen Flamme auch mal tanzen gehen. Der arme Bauernsohn aus dem Osten des Iran dagegen kommt mit den alten islamischen Sittlichkeitsvorstellungen sehr viel besser aus: Er lebt ja auch unter ganz anderen Umständen. Diese beiden jungen Männer können also gar keine einheitliche Vorstellung vom Islam haben.
Der Islam kann also vielleicht eine mittelalterliche Ständegesellschaft oder Stammesgesellschaft repräsentieren, aber moderne Gesellschaften?
Nein, da erliegt ihr der Konsensfiktion. Es ist bodenlos naiv von einer in sich geschlossenen islamischen Nation/Gesellschaft zu sprechen, die über den Islam repräsentiert werden kann. Wie aufgezeigt, beißt sich das einfach mit den völlig unterschiedlichen Lebensumständen in diesen Schwellenländern. Es gibt da halt unterschiedliche Gruppen mit unterschiedlichen Interessen udn Vorstellungen. Eine konsensuale Vorstellung von Gesellschaft, von Entscheidungsfindung wird es sicher nicht geben, wenn weltfremde Mullahs für alle entscheiden. Vorallem wenn die Hälfte der Bevölkerung inzwischen vollkommen anders denkt. Man kann einfach nicht unterschiedliche Haltungen und Denkwweisen so überzeichnen. Das ist das Wesen der Demokratie in modernen Gesellschaften, die Repräsentation aller Denkweisen udn Interessen. Und auch die moslemischen Länder kommen da nicht drum rum. Das funktioniert nicht.
Auch in den sich modernisierenden Asiantischen Ländern hat man unterschiedliche Parteien und unterschiedliche Interessen, die sich um die polit. Macht streiten....
@ Quintus:
Du hast einen großen Denkfehler drin. Es ist ja nicht nur so, dass du die "Wahl" der geistlichen Führer im Urislam total überbewertest. Da kamen Stammesälteste und Stammesführer zusammen und wählten halt ihren Führer. Das war nichts besonderes, so war es im Frühmittelater doch auch in Europa. So entwicklten sich auch in Europa allmählich die Parlamente.
Nur entwickelten sich bei uns Staaten, wurden Bürokratien entwicklet, erkämpften sich weitere soziale Schichten über den Umweg des Absolutismus und des gesellschaftlichen Wandels die politische Teilhabe, während im Islam -auch im so tollen Mittelater - schon Despotismus vorherrschte, sich keine Staaten entwickelten und Stammesstrukturen intakt blieben. All das übergehst du geflissentlich in deiner Analyse (sie ist sicher nicht schlecht, wirklich, aber sie isz unvollständig).
Und dann:
Wer macht bei uns die Gesetze? Es sind letztlich die Parteien als Repräsentanten des Volkes, als Repräsentanten unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen und ihrer Interessen. Wie da die Repräsentation verteilt ist, wie sich Interessen durchsetzen können, ist ne andere Frage und sicher auch immer wieder kritikwürdig. Nur wird überhaupt erst mal beachtet, dass es eben nicht eine Gesellschaft ist, dass es eben kein klar fest formuliertes Allgemeinwohl gibt, keine klare Übereinstimmung in allen Werten, sondern dass es Konflikt, dass es Unterschiedlichkeit gibt.
Die Judikative kontrolliert das und kontrolliert sich gegenseitig (anfechtungen usw..). Das ist ein bestmöglich ausgekügeltes System.
Aber im Islam? Woher sollen die Gesetze kommen, die die Geistlichkeit kontrolliert als Judikative. Und vorallem, wem ist die Geistlichkeit verpflichtet? Einem abstrakten Gott, mit dem man allles legitmieren kann, was man will?? Bei uns sind die Gerichte auf das Gesetz verpflichtet und damit letztlich auf den zusammengestrittenen Volkswillen (also der Volkswille als Etrgebis des Streits unterschiedlicher Positionen). Im Islam sehe ich da wenig Anerkennung, dass es eben einen Pluralismus, eien Vielzahl an Interessen usw.gibt. Nur erzeugen moderne Gesellschaften sowas immer,egal ob nun westlich oder asiatisch. Mit absolutem Konsens, mit Übereinstimmung ist es Essig in der Moderne. Das bekomst du nie und nimmer mehr hin, weil die Leute in zu unterschiedlichen Lebensumständen sich entwickeln.
Also, mit dem Koran kommt man heute nicht mehr sehr weit. Mag sein, dass er nicht so schlimm ist, wie viele sagen. Die Schlechterstellung der Frau (auch wenn es damals nur darum ging, sie besser zu schützen) und manch andere unschäne Dinge stehen da trotzdem drin. Der Leitfaden des 7. jahrhunderts aber, wie man als Stamesgesellschaft in den harten Wüsten Arabien überlebt kann aber kein Leitfaden sein für die modernen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts, für die Konkurrenz der Wissens - und Dienstleistungsgesellschaftengesellschaften. Das ist einfach aus einer anderen Zeit und da gab es eben viele Probleme so noch nicht.
Er hat (leider) absolut Recht. Urislamische Gesellschaften mögen dem Anschein nach "demokratische Strukturen" gehabt haben. Nur hat das absolut nichts mit der Religion zu tun, sondern viel eher mit der Gesellschaftsform, mit der damaligen starken Bedeutung tribaler Strukturen (also Stammesstrukturen). Es wird hier leider zu oft vergessen, dass man Werte und Religion nicht abgelöst von der Gesellschaft, von ihrer "Art und Weise" betrachten kann. Bestimmte Werte und Verhaltensvorschriften passen einfach nur in bestimmte Zeiten und bestimmte Gesellschaftszustände. Ansonsten werden sie zur Belastung, lösen Konflikte und Extraprobleme aus.
Daher zeiht das Argument der demokratischen Strukturen im Urislam nicht. Demokratische Strukturen gab es auch schon in der Antike, gab es auch bei den germanischen Stämmen, gab es auch in so manchen mittelalterlichen, neuzeitlichen Republiken im Ansatz. Man kann sehr viel an kollektiver Entscheidungsfindung als demokratische Struktur zusammenfassen.
Aber das bringt nicht viel. Es geht um das heute, um die Erfordernisse moderner Technologie, die Probleme von Massnegesellschaften, von wirtschaftlichem Strukturwandel, von Entwicklung. Mit den Lösungen der Vergangenheit wird man nichts erreichen. So schmerzvoll es ist (und ich bin kein Verfechter der Verwestlichung per se), auch islamische Gesellschaften werden ihren Islam, ihre Gesellschaftsvorstellung reformieren müssen, modernisieren müssen, offener machen müssen. Es wird zwangsweise eine Selektion geben müssen, was der islam heute noch ist und was er nicht mehr sein kann. Diese Selektion können aber die Geistlichen nicht allein machen. Deren abbröckelnde Autorität im Iran sollte zu denken geben: Der Iran ist doch ein wunderschönes Beispiel, wo diese islamische Demokratie hinführt: Mitten in die Spaltung und Polarisierung der Gesellschaft ohne, ich wiederhole ohne Konfliktbereinigung. Die Mullah wissen selbst nicht, wie viel Freiheit sie geben können, die arme Landbevölkerung lebt noch teilweise gerade im Osten wie im Mittelalter und akzeptiert die Autorität der Mullahs, die moderne Stadtbevölkerung, die besser gebildete Jugend nicht.
Ich möchte Wolfs Kritik daher mal anhand dieses Beispiels erweitern:
Es ist ja nicht nur, dass die demokratische Kontrolle über die Mullahs fehlt. das ist nur der eine Punkt. Aber mit wirtschaftlicher Entwicklung, mehr Reichtum kommt auch eine stärkere soziale Polarisierung in die Gesellschaft hinein. Es entwickeln sich mehr und mehr ausdifferenzierte Gesellschaften. Was bedeutet diese akademische Bezeichnung: Wir haben eben keine gefestigten Dorfgemeinschaften mehr, wo alle relativ gleich lebten und daher auch leicht eine gemeinsame Vorstellung vom Islam haben konnten. Nun haben wir Großstädte, wir haben völlig unterschiedliche Lebenswelten. Ein reicher Teheraner Student, der englisch kann die westliche Lebensart kennt, will eben beispielsweise mit seiner neuen Flamme auch mal tanzen gehen. Der arme Bauernsohn aus dem Osten des Iran dagegen kommt mit den alten islamischen Sittlichkeitsvorstellungen sehr viel besser aus: Er lebt ja auch unter ganz anderen Umständen. Diese beiden jungen Männer können also gar keine einheitliche Vorstellung vom Islam haben.
Der Islam kann also vielleicht eine mittelalterliche Ständegesellschaft oder Stammesgesellschaft repräsentieren, aber moderne Gesellschaften?
Nein, da erliegt ihr der Konsensfiktion. Es ist bodenlos naiv von einer in sich geschlossenen islamischen Nation/Gesellschaft zu sprechen, die über den Islam repräsentiert werden kann. Wie aufgezeigt, beißt sich das einfach mit den völlig unterschiedlichen Lebensumständen in diesen Schwellenländern. Es gibt da halt unterschiedliche Gruppen mit unterschiedlichen Interessen udn Vorstellungen. Eine konsensuale Vorstellung von Gesellschaft, von Entscheidungsfindung wird es sicher nicht geben, wenn weltfremde Mullahs für alle entscheiden. Vorallem wenn die Hälfte der Bevölkerung inzwischen vollkommen anders denkt. Man kann einfach nicht unterschiedliche Haltungen und Denkwweisen so überzeichnen. Das ist das Wesen der Demokratie in modernen Gesellschaften, die Repräsentation aller Denkweisen udn Interessen. Und auch die moslemischen Länder kommen da nicht drum rum. Das funktioniert nicht.
Auch in den sich modernisierenden Asiantischen Ländern hat man unterschiedliche Parteien und unterschiedliche Interessen, die sich um die polit. Macht streiten....
@ Quintus:
Du hast einen großen Denkfehler drin. Es ist ja nicht nur so, dass du die "Wahl" der geistlichen Führer im Urislam total überbewertest. Da kamen Stammesälteste und Stammesführer zusammen und wählten halt ihren Führer. Das war nichts besonderes, so war es im Frühmittelater doch auch in Europa. So entwicklten sich auch in Europa allmählich die Parlamente.
Nur entwickelten sich bei uns Staaten, wurden Bürokratien entwicklet, erkämpften sich weitere soziale Schichten über den Umweg des Absolutismus und des gesellschaftlichen Wandels die politische Teilhabe, während im Islam -auch im so tollen Mittelater - schon Despotismus vorherrschte, sich keine Staaten entwickelten und Stammesstrukturen intakt blieben. All das übergehst du geflissentlich in deiner Analyse (sie ist sicher nicht schlecht, wirklich, aber sie isz unvollständig).
Und dann:
Wer macht bei uns die Gesetze? Es sind letztlich die Parteien als Repräsentanten des Volkes, als Repräsentanten unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen und ihrer Interessen. Wie da die Repräsentation verteilt ist, wie sich Interessen durchsetzen können, ist ne andere Frage und sicher auch immer wieder kritikwürdig. Nur wird überhaupt erst mal beachtet, dass es eben nicht eine Gesellschaft ist, dass es eben kein klar fest formuliertes Allgemeinwohl gibt, keine klare Übereinstimmung in allen Werten, sondern dass es Konflikt, dass es Unterschiedlichkeit gibt.
Die Judikative kontrolliert das und kontrolliert sich gegenseitig (anfechtungen usw..). Das ist ein bestmöglich ausgekügeltes System.
Aber im Islam? Woher sollen die Gesetze kommen, die die Geistlichkeit kontrolliert als Judikative. Und vorallem, wem ist die Geistlichkeit verpflichtet? Einem abstrakten Gott, mit dem man allles legitmieren kann, was man will?? Bei uns sind die Gerichte auf das Gesetz verpflichtet und damit letztlich auf den zusammengestrittenen Volkswillen (also der Volkswille als Etrgebis des Streits unterschiedlicher Positionen). Im Islam sehe ich da wenig Anerkennung, dass es eben einen Pluralismus, eien Vielzahl an Interessen usw.gibt. Nur erzeugen moderne Gesellschaften sowas immer,egal ob nun westlich oder asiatisch. Mit absolutem Konsens, mit Übereinstimmung ist es Essig in der Moderne. Das bekomst du nie und nimmer mehr hin, weil die Leute in zu unterschiedlichen Lebensumständen sich entwickeln.
Also, mit dem Koran kommt man heute nicht mehr sehr weit. Mag sein, dass er nicht so schlimm ist, wie viele sagen. Die Schlechterstellung der Frau (auch wenn es damals nur darum ging, sie besser zu schützen) und manch andere unschäne Dinge stehen da trotzdem drin. Der Leitfaden des 7. jahrhunderts aber, wie man als Stamesgesellschaft in den harten Wüsten Arabien überlebt kann aber kein Leitfaden sein für die modernen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts, für die Konkurrenz der Wissens - und Dienstleistungsgesellschaftengesellschaften. Das ist einfach aus einer anderen Zeit und da gab es eben viele Probleme so noch nicht.