Ich schreib hier in diesem Thread noch Antworten zu Passagen aus dem Thread "Russland und EU", bei denen mir eine Antwort auf den Nägeln brennt.
Aber davor:
@ Tiger
Historische Vergleiche müssen strukturell gerahmt werden, sprich nicht nur mindestens ein nachvollziehbares Tertium comparationis, also ein Vergleichendes Drittes, sondern eben auch die Vergleiche der Rahmenbedingungen durchgeführt werden.
Kanada und USA als historische Einwanderungsländern litten sicherlich in "existenziellen" Auseinandersetzungen mit "echten" Antagonisten unter einer starken Dosis Paranoia. Man kann wenn man will da auch von einer gewissen Portion Rassismus sprechen. Dennoch: Solch eine Lage in einem historichen Einwanderungsland ist schwer zu vergleichen mit einem auseinanderfallenden Ex-Imperium, in dem Separatisten gekämpft werden und eben jene Völkergruppen auch politisch als Feindbild instrumentalisiert worden.
Und dieses Feindbild beruht eben nicht nur auf den bloßen Taten, sprich dem Krieg, sondern eben auch auf der medialen Darstellung und der herrschenden Einstellung. Und beide letztere Faktoren werden und wurden durch den autoritären und nationalen Geist der Putin´schen Herrschaft von Anfang an gepusht. Man denke nur an die Anschläge vermeintlicher tschetschenischer Terroristen in den Moskauer Wohnblocks, die auch deutlich zu einer weiteren Verleumdung "kaukasischer" Bevölkerungsteile in Russland führte.
Man denke auch daran, dass nationalistische und rechtsradikale Kreise sehr frei und ungehindert agieren können.
Dass die russischen Medien genauso reflektiert und selbstkritisch sind wie die westlichen Medien und daher "genauso nationalistisch" halte ich überdies für einen schlechten Witz. Wer immer und überall nur den bösen Westen schlecht macht und am liebten das nahe Ausland bis zur Oder beherrschen würde, kann wohl kaum anders als nationalistisch bezeichnet werden....
Und da kann man eben nicht pauschale Vergleiche zu anderen osteuropäischen Ländern ziehen: Zum einen, weil die Lage von Land zu Land sehr unterschiedlich ist, zum anderen weil in fast allen Ländern außer Russland im ehemaligen Osten eine freier Presse und größere politische Parteien- und Meinungsvielfalt herrscht, die daher auch sich in diversen politischen Meinungsbildern in diesen Ländern verdeutlicht.
Und nun aus dem anderen Thread:
Die Sache mit den "polnischen Autoren": Hier sieht man ja, wie wenig die in den russ. Medien zirkulierenden Bilder und Denkweisen gefruchtet haben (Vorsicht Ironie!!!) Man bezweifelt also automatisch die kritische Sicht dieser Autoren, weil sie polnisch sind. Wenn ich da an deine Kritik an mir denke, bekomme ich leichte Zweifel, ob deine Kritik an mir nicht eher dich trifft Kosmos:
Zitat:du hast eine ziemlich eingeschränkte auf Nationalitäten in den Grenzen heutiger Staaten ausgerichtete Sichtweise.
Diese Sichtweise ist jedoch völlig verkehrt wenn man versucht Geschichte zu verstehen.
Das Lustige dabei: Ich bin historisch und in der Ideengeschichte durchaus fit genug, um zu wissen, wie allein schon der Begriff der Nation die Jahrhunderte hindurch sich gewandelt hat. Mir ist durchaus klar, dass beispielsweise der große polnische Wien-Sieger und Türkenkämpfer "heute" ein Ukrainer war, viele große polnische Adelsfamilien "heute" litauisch, ukrainisch oder weißrussisch wären.
Aber gerade aufgrund dieser historischen Variabilität lach ich mir einen weg, wenn ich die russische Selbstbeschreibung und die daraus resultierenden Machtansprüche höre. Die Ukraine russisch??! Die Hälfte der Geschichte wohl nicht, das, was heute die westliche Ukraine ist, hatte mit Russland so viel zu tun wie Budapest mit Deutschland.
Daher war auch Revans ungewollte Verklärung der russ. Geschichte im anderen Thread kaum realistisch. Russland war in Ostmitteleuropa eben nicht die alleine Großmacht, unbestritten und unangefochten, ohne Probleme. Das galt erst ab Beginn 1700. Vorher sah das eben ganz anders aus. Und nun eben auch.
Denn was ist daran russophob, wenn sich Länder und Nationalitäten nach einer längerne Periode russischen Drucks nun befreien wollen? Das, mein lieber Kosmos, ist ein emanzipatorischer, befreiender Nationalismus, denn du nicht einfach so mit einem imperialen, herrschaftssüchtigen Nationalismus verwechseln darfst. Daher sind auch deine Kommentare eben zu Ostmitteleuropa sehr verklärt und haben mit der Realität dort nicht so viel zu tun. Polen braucht beispielsweise nicht erst die USA um Russland so weit wie möglich nach Osten abzudrängen, sie haben das mit sehr viel Erfolg bis 1700 auch ohne die USA getan und auch danach ohne die USA dem russischen Vormarsch immer wieder versucht etwas dagegenzusetzen. Und es ist eben auch kein aggressiver Nationalismus mehr, der nach 1990 freigesetzt wurde nach der Überwindung der Moskauer Dominanz (im Gegensatz zu 1918/1919), sondern ein demokratisch und emanzipatorisch eingerahmtes Bewusstsein für die eigene Nation und die Freiheit. Das ist etwas anderes, als das traurige Bewusstsein, dass trotz langer autoritärer Herrschaftspolitik und versuchter Russifizierung plötzlich "alte und neue Erwerbungen" wieder dem russischen Machtbereich entzogen wurden nach 1990. Und das eben nach 1990 nicht bloß nur der Nationalismus wach wurde in Ostmitteleuropa siehst du eben nochmal an Polen: Anders als 1918/1919 verstieg man sich zu neuem nationalen Chauvinismus, sondern baute einen demokratischen und wirtschaftlichen Staat, suchte mit den Nachbarn Verständigung. Trotz kleinerer Reibereien sind die polnisch-litauischen und polnish-ukrainischen Beziehungen ganz gut. Hier ist eben kein Nationalismus am Werk, sondern das Bewusstsein für die Selbstbestimmung des eigenen Schicksals und für die Freiheit. Und das ist eben etwas ganz, ganz anderes als die russischen Wehklagen über den Verlust des "nahen Auslands". Das unterscheidet eben heute den plumpen, revisionistischen russischen Nationalismus von dem Erwachen des nationalen Freiheitsdrangs an den Rändern des alten russischen Reiches.
Und hier komme ich auf den Film 1612 und die in meinen Augen lächerliche Kritik Kosmos am Spiegelartikel. Kosmos, der Fluch der Karibik versteigt sich nicht in der Fiktionalisierung historischer Ereignisse, sowie deren Verzerrung und kommt auch nicht gerade pünktlich zum neuen Nationalfeiertag heraus, schlicht, weil Fluch der Karibik "nicht nationalisiert" ist, sprich nicht aus der Geschichte eines Volkes eine verzerrende und mythische Geschichte macht. Da streckt viel zu viel Pathos drin, da werden die polnischen Pans, die katholische Kirche als böse Invasoren verdammt, die tatsächlich herrschende auch innerrussische Auseinandersetzung ausgeblendet und viel Pathos und Ethos auf die Bewahrung der russischen Erde gesetzt, zusammen mit Fiktion und Knalleffekten (und so unfreundlichen Details, wie das ein polnischer Hetman eine russ. Prinzessin raubt und sogar vergewaltigt, was eben nicht stimmte...).
Ich denke, du solltest schlicht weniger russ. Medien schauen, dann könntest vielleicht auch du dich von deiner Weltanschauung ab und ab mal etwas distanzieren... :wink: