01.04.2005, 00:13
In der Y. ist ein Artikel über die Transformation der IDF, da der Artikel nicht mehr lange im Netz ist habe ich ihn komplett gepostet.
Zitat:Armee im ÜbergangGruß NoBrain
Im Irakkrieg setzten die USA das Network Centric Warfare (NCW) erstmals in großem Stil um. Auch andere Streitkräfte passen Taktik und Ausrüstung den neuen Bedingungen an. Zu ihnen zählt die Israelische Defense Force.
Während der Operation „Iraqi Freedom“ 2003 im Irak setzten die Amerikaner zum erstmals das Konzept der vernetzten Operationsführung (Network Centric Warfare, NCW), großflächig um. Zwar hat nicht wirklich alles funktioniert, prinzipiell bot das neue System seinen Nutzern aber viele Möglichkeiten: So war die militärische Führung, das Central Command (CENTCOM) in Katar in den Vereinigten Arabischen Emiraten, mit fast allen Einheiten der US-Streitkräfte über direkte Datenleitungen verbunden – etwa via E-Mail, Videokonferenz und Chat.
Die Sensoren, zum Beispiel Drohnen, Satelliten oder Flugzeuge konnten ihre Aufklärungsdaten in Echtzeit – verzugslos – an Schiffe, Flugzeuge oder Panzer senden und entdeckte Objekte – größtenteils – mit Freund-Feind-Kennungen versehen. Das verschaffte den Kommandeuren eine genaue Übersicht. Die Soldaten konnten über ein Intranet Einsatzdaten, Karten, Satellitenfotos, Einsatzvideos von früheren Missionen und aktuelle Angaben über Lagerbestände, Bewaffnung und den Zustand von Geräten und Fahrzeugen abfragen.
Veränderung und Anpassung
Network Centric Warfare ist die Antwort der US-Streitkräfte auf ein verändertes Kriegsbild und den technischen Fortschritt. Trotzdem ist diese Anpassung im Prinzip nichts Neues. Veränderung hat schon immer Anpassung verlangt – nicht zuletzt im Bereich Taktik und Militärtechnik. Das gilt für die Bundeswehr und das gilt auch für die Streitkräfte des Staates Israel.
Ihre erste größere Reform durchlief die Israel Defense Force (IDF) nach dem Sinai-Krieg 1956 gegen Ägypten. Hatten die israelischen Streitkräfte zuvor noch eine weitgehend traditionelle, an den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs orientierte hierarchische Führungsstruktur gehabt, so unternahm die Armee kurz nach dem Konflikt erste Versuche die klassische Auftragstaktik für die operative Führung von schnellen Panzergruppen anzupassen. Hintergrund: Die israelische 7. Panzerbrigade hatte bei ihrem schnellen Vorstoß zum Suezkanal fast völlig ohne Funk operiert. Dadurch waren die Nachteile einer starren, hierarchischen Kommandostruktur deutlich geworden.
Führung auf Knopfdruck
Zehn Jahre später führte die IDF neue technische Führungsmittel ein. Sie sollten den taktischen Unterführern weitgehende Handlungsfreiheit und Flexibilität im Rahmen der operativen Planung geben. Neue Funkgeräte wurden eingesetzt. Die Druckknopftechnologie für den schnellen Frequenzübergang erleichterte die Bildung nicht organischer, quasi spontaner Kampfgruppen. Diese Technik bewährte sich 1967 im Sechstagekrieg gegen die zahlenmäßig überlegenen Armeen Ägyptens, Jordaniens, Iraks und Syriens. Allerdings blieb die Führungsstruktur im wesentlichen unverändert.
Dass die alte Kommandostruktur für das Gefecht von Panzern völlig ungeeignet ist, zeigten die Erfahrungen beim schnellen Vorstoß der israelischen Panzertruppen von General Israel Tal 1967 im Sinai. Zwar liegt der Vorteil einer „steilen“ Hierarchie – nämlich die eindeutig vorgegebene vertikale Informationsbeziehung nach dem Motto „Jeder weiß, wem er zu melden beziehungsweise zu befehlen hat“ – auf der Hand. Aber eine so starre Führungsstruktur behindert das schnelle Panzergefecht, in dem sich die Situation ständig ändert. Denn unter diesen Umständen ist die maximale Flexibilität der taktischen Führung für die Reaktionsschnelligkeit kritisch. Ebenso unentbehrlich ist der reibungslose Austausch von Informationen in Echtzeit.
Keine großen Kriege mehr
Trotzdem öffnete sich das traditionell gesinnte israelische Führungssystem nur zögernd einer Strukturänderung. 1973 im Yom-Kippur-Krieg und sogar noch im Libanon 1982 war die israelische Führungsstruktur im wesentlichen unverändert – auch wenn der Einsatz neuer Geräte die Funktechnik weitgehend verbesserte. Eine neue Vision bildete sich erst in den späten 90er-Jahren. Damals wurde klar, dass Israel künftig weniger „Großkriege“ gegen feindliche Armeen würde ausfechten müssen, sondern sich auf einen Low Intensity Conflict (LIC), also auf Gefechte geringerer Intensität, einstellen musste.
Um solche Kampfhandlungen zu kontrollieren, müssen die taktischen Unterführer volle Handlungsfreiheit haben. Der Grund: Das Gefecht wird nicht mehr von allen Ebenen der Hierarchie geführt, sondern oft auf der nahezu niedrigsten Stufe, der taktischen Einheit. Hinzu kommt, dass die Masse der Kämpfe in dicht bebautem Gebiet, sprich in Städten, stattfinden. Die Führer der Truppe vor Ort treffen ihre Entscheidungen oft genug ohne die höhere Führung.
Andererseits muss die übergeordnete Führung permanenten Einblick in die Ereignisse auf allen Ebenen haben. Denn die taktische Führung im LIC-Gefecht trägt eine große Verantwortung, taktische Entscheidungen können im Extremfall strategische Folgen haben. Wenn sich so eine Situation abzeichnet, muss das übergeordnete Personal rechtzeitig eingreifen können.
Die Digitalisierung der IDF
Im Dezember 2004 schloss das Israelische Sicherheitsamt einen Vertrag mit der israelischen Firma Elbit Systems. Elbit liefert dem israelischen Heer ein digitales Führungssystem, Digital Ground Army (DGA). Das mit dem Decknamen Tzayad ( Jäger) bezeichnete Millionen-Projekt ist eines der ambitioniertesten Beschaffungsvorhaben seit einem Jahrzehnt.
DGA ermöglicht dem Heer Israels in Zukunft eine neuartige Operationsführung: Kampf- und Kampfunterstützungstruppen aller Art – Panzer, Infanterie, Artillerie oder Pioniere – werden bis 2010 durch ein gemeinsames digitales Funk-, Daten- und Computersystem voll vernetzt. Ein modernes Glasfaserkabelnetz ergänzt dieses digitale Netzwerk. Das Gesamtsystem verbindet alle Befehlsstellen, vom Bataillon aufwärts zur Division, und bietet den Kommandeuren ein lückenloses Gefechtsbild.
Alle im System
Einmal fertig gestellt wird es die „sensor to shooter linkage“, die Verbindung von Aufklärungssystemen zu Waffensystemen, verkürzen und standardisieren und bis hinunter zum Soldaten reichen. Es bindet alle Truppenteile, die sich im erweiterten Kampfgebiet aufhalten, in ein System ein. In diesem System werden sich Kampfgruppen schnell und flexibel formieren und diese Formationsänderungen auch wärend der Fahrt durchführen können. Zwar war der schnelle Formationswechsel im Prinzip teilweise auch schon mit der bereits erwähnten Druckknopftechnologie, mit der die Soldaten schnell, eben „auf Knopfdruck“, die Funkfrequenz wechseln können. Aber bis zum Einsatz moderner Kommunikations-und Datenverarbeitungstechnologie konnte dieses Verfahren nur ungenügend angewandt werden. Und gerade im urbanen Gefecht ist die flexible Formierung und Umformierung von taktischen Truppenteilen besonders wichtig.
Ein Beispiel: Ein Infanteriezug der Special Forces soll, unterstützt von zwei Panzern und einem Scharfschützenteam, verstärkt durch Spezialbeobachtungstrupps und ausgestattet mit besonderem Pioniergerät binnen Minuten zusammengestellt und eingesetzt werden. Ziel ist es, einen durch elektronische Überwachung erkundeten Terroristenunterschlupf auszuschalten, bevor sich die Terroristen absetzen. Ein derartiges Szenario repräsentiert das engste Zusammenwirken verbundener Waffen zwischen den verschiedenen Waffengattungen auf der niedrigsten Ebene. Vor allem, wenn noch taktische Drohnen UAV (Unmanned Aerial Vehicle), Mini-UAV und Kampfhubschrauber abgerufen werden.
Kampf im Flüchtlingslager
Szenarien dieser Art sind für die IDF im Low Intensity Conflict Alltag und werden durch das neue Tzayad-System noch besser bewältigt. Dabei gilt es zu bedenken, dass diese Einsätze mit erheblichen Gefahren – nicht nur für die eingesetzten Soldaten – verbunden sind. Es handelt sich um den Kampf im Stadtgebiet, etwa dicht besiedelte palästinensische Flüchtlingslager. Hier muss die Armee mit großer Vorsicht operieren, um Gefahren für die nicht-kämpfende Zivilbevölkerung zu vermeiden.
Zurück zur taktischen Kampfgruppe. In solchen Einsätzen können sich mehrere Kampfgruppen im selben Kampfraum befinden, die parallel oder flankierend vorgehen. Da der Feind sich meist gut getarnt in Häusern verschanzt, bis die Truppe vor der Tür steht, ist es lebenswichtig, dass der Kampfgruppenführer genügend Echtzeit-Information bekommt, bevor der Feind das Feuer eröffnet. Ein neues Verfahren macht das möglich. Modern ausgestattete kleine Sondereinheiten der Kampfnachrichtentruppe errichten dauerhafte Beobachtungsposten im Einsatzraum, die die verschiedenen Gefahrenzonen beobachten, und melden aufgeklärte feindliche Verstecke an den Truppenführer, damit dieser seinen Einsatz rechtzeitig anpassen kann. Eine derartige enge Zusammenarbeit funktioniert nur, wenn den Truppenführern entsprechende vernetzte Kommunikationsmittel zur Verfügung stehen, eben das neue Tzayad-Programm.
Freund gegen Freund
Die größte Gefahr im Häuserkampf ist „friendly fire“, der Beschuss durch eigene Truppen, die beispielsweise aus verschiedenen Richtungen auf dasselbe Ziel vorstoßen oder sich im Gewirr enger Gassen verirren und aus der falschen Richtung ohne Warnung auf eigene Kräfte stoßen. Um diese Gefahr zu stoppen, ist die lückenlose Überwachung des gesamten Vorgehens durch die höhere Führungsebene lebenswichtig. Dazu dienen bei der IDF eine Reihe von hoch entwickelten elektronischen und elektro-optischen Beobachtungs- und Überwachungsgeräten, die einen Überblick über das komplette Kampfgebiet gestatten.
Das System verbindet Hubschrauber, UAV, Mini-UAV und Beobachtungsposten am Boden und ermöglicht den Austausch von Daten und audio-visuellen Inhalten. Alle Teilnehmer im Kampfraum sind vernetzt und jeder Teilnehmer hat die Möglichkeit Echtzeit-Informationen abzurufen. Das System liefert der für den Gesamteinsatz verantwortlichen Befehlsebene dauernd ein „Common Relevant Operational Picture“. Ein gemeinsames Lagebild, in dem jeder Truppenteil grafisch auf Bildschirmen oder Handheldisplays auftaucht und aktualisiert wird. Die Vernetzung macht es dem Kommandeur möglich, sofort einzugreifen, wenn die Gefahr besteht, dass freundliche Truppenteile aufeinanderstoßen könnten.
Gefahr Informationsflut
Die Vorteile der modernen Technologie für den Informationsaustausch liegen auf der Hand. Es gibt aber auch Nachteile. So kann ein „Informationsüberfluss“ die Mailboxen der Adressaten verstopfen. Das ist nicht nur Zeit raubend – im Gefecht kann es lebensgefährlich sein. Zumal wenn das anwesende Führungspersonal mit dem Kampfgeschehen vollauf beschäftigt ist. Deshalb muss die Information abrufbereit sein und von höherer Ebene überwacht werden. Nur eine zentrale Steuerung und Kontrolle gewährleistet, dass die Infos dem richtigen Adressaten zum richtigen Zeitpunkt zum Abgreifen zur Verfügung stehen. Das gemeinsame Lagebild, das bei allen Beteiligten ein integriertes Lageverständnis schafft, trägt ebenfalls dazu bei, Informationsüberflutung zu vermeiden. Mit ihm sind während eines Gefechtes nur Einsatz-relevante Daten ins System integriert.
Autor: David Eshel