Zitat:Hier geht es um das hier und heute.
Auch, aber eben nicht nur. Nur weil es um die heutige Zeit geht, sollte man historische Ereignisse nicht einfach ausblenden oder ignorieren. Und eine koloniale Verantwortung der westlichen Mächte (aber auch mancher nichtwestlicher Mächte) gab und gibt es, genauso wie es teils eine Verantwortung der unterworfenen Völker an der Kolonialpolitik und ihren Folgen gibt.
Ich verweise da ja gerne auch auf die Sklaverei: Das Verschleppen von vermutlich mehr als zehn Millionen Afrikanern nach der Neuen Welt - wohlgemerkt über Jahrhunderte hinweg -, wäre ohne die tatkräftige Mithilfe der Afrikaner selbst nicht möglich gewesen. Die Europäer haben Afrika bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts nicht wirklich durchdrungen. Stattdessen gründete man Niederlassungen entlang der Küste, anfangs v. a. durch die Portugiesen im 15. und 16. Jahrhundert. Das Innere des Landes war den Europäern aber zu unheimlich und zu suspekt - finstere Wälder, Mangrovensümpfe, tropische Temperaturen, gefährliche Tiere, tückische Fieberkrankheiten und gelegentlich sogar Kannibalen.
Ergo beschränkte man sich auf die Sicherung und Kontrolle der Küstenlinien, drang aber kaum ins Landesinnere vor, das ein "weißer Fleck" auf den Karten bis weit ins 19. Jahrhundert hinein blieb (als der Sklavenhandel schon verboten worden war). Man ließ also die Afrikaner selbst die eigenen afrikanischen Brüder und Schwestern einfangen - zumal man so auch vielleicht unliebsame Nachbarstämme los wurde - und sie sich an die Küste "liefern". Ohne diese tatkräftige Unterstützung seitens der Afrikaner selbst hätten die Europäer also den Sklavenhandel nicht bestreiten können - zumindest nicht in dem Umfang. Als Afrika dann wirklich "besetzt" wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, war der Sklavenhandel von den Europäern selbst schon unterbunden worden. (Wobei es Sklaven in der Neuen Welt bekanntermaßen aber noch gab, etwa in Brasilien, in der Karibik und den Südstaaten der USA.)
D. h. so ganz herausreden können sich die Afrikaner auch nicht. Oft genug und allzu gerne haben Afrikaner schließlich Afrikaner an die Weißen verkauft. Wenn man dies allerdings ansprechen würde, so vermute ich, würde man sich sehr schnell den Vorwurf des Rassismus einfangen. Allerdings: Nur weil die Afrikaner sich nicht ganz herausreden können, heißt das nicht im Umkehrschluss, dass die Europäer sich wegducken könnten. Sie waren letztlich die Hauptinitiatoren der Idee des "Handelsmodells" des atlantischen Dreieckshandels - die Afrikaner haben am Ende dann nur die "Zulieferketten" bedient.
(Übrigens wurden "nach Osten", d. h. nach der muslimischen Welt, nach Indien und bis hin nach China, durch arabische Sklavenhändler und ihre afrikanischen Helfershelfer mehr Afrikaner verschleppt und verkauft als "nach Westen" durch die Europäer. Das wird aber heute nicht unbedingt gerne erwähnt.)
Um nun die Kurve zu Tansania zu kriegen: Die Maji Maji kannst du nicht alleine auf eine "geisteskranke Sekte" reduzieren. Die Ursprünge dieses Kultes sind sehr diffus und es vermischten sich Geisterglaube, Traditionalismus, Schamanentum, Animismus und Hexerei mit einem Aufbegehren gegen ein koloniales Regime, das sich anschickte, die traditionellen agrarischen Strukturen zu zerschlagen. (Übrigens geistert dieser Maji Maji-Gedanke immer noch durch Afrika - man denke z. B. an die Simbas der 1960er Jahre oder auch an manche irrlichternde Milizen in Zentralafrika und im Sudan in der Gegenwart.)
Die Zahl der Aufständischen war übrigens auch recht überschaubar, genaue Zahlen gibt es keine, aber es waren wahrscheinlich weniger als 15.000. Und ihre Bewaffnung war, zum Glück, auch völlig unzulänglich bzw. archaisch, weswegen die Schutztruppe mit ihren MGs und Feldgeschützen im offenen Kampf quasi unbezwingbar war. Also flüchtete man in den Guerillakrieg. Und da die Deutschen diesem nicht so ganz beikamen, haben sie eine Politik der willkürlichen verbrannten Erde praktiziert. Und über diese kam es dann zu Hungersnöten, die im Minimum rund 150.000 Tote verursachten. (Anzumerken wäre, dass die deutschen Unternehmer und Pflanzer selbst im Nachgang ziemlich unzufrieden waren mit dieser Vorgehensweise der Schutztruppe, da viel wertvolles Ackerland verwüstet wurde - manche Gebiete haben sich erst in den 1930er wieder erholt gehabt.)
Insofern: Die Deutschen sind mit ihrer flächendeckenden Verwüstungskampagne durchaus in einer Verantwortung für eine große Zahl an Opfern, die die Zahl der eigentlichen Aufständischen massiv überstiegen hat. Hierfür zumindest eine Entschuldigung auszusprechen ist nur recht und billig - und da ist es mir auch egal, ob es der Bundespräsident oder der Außenminister macht -, auch wenn es zur damaligen Zeit weltweit in den Kolonialreichen ruppig zuging und es noch schlimmere Ereignisse gab.
Schneemann